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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
Autoren: Michael Schuck
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hatten. Günter brauchte jetzt nur noch zu schlafen. Er kannte das.
    Zwei Kilometer entfernt kam um zwei Stunden nach Mitternacht Leben in den Turm. Eine pulsierende Bewegung lief von seinem Fundament aus über die Betonhaut bis in seine Spitze. Dieses Pulsieren wirkte keineswegs ungezielt oder gar zerstörerisch. Es wirkte wie ein gespenstisches, aber doch durchaus zielbewusstes, körperhaftes Wachsen. Der Turm, dieses Gebilde aus totem Material, Beton und Stahl, erwachte zu unsäglichem Leben. Er spielte mit geringschätziger Leichtigkeit mit dieser lächerlichen Lichtanlage, die in ihm installiert war. Er ließ die Pole der Sicherungsautomaten aus ihren Metallschuhen heraus- und wieder hineingleiten. Lichter gingen an und aus. Schließlich erloschen sie alle, auch die Notbeleuchtung, die nachts eigentlich immer in Betrieb war.
    Der Beton arbeitete und nicht nur der Beton. Dieses ganze System aus Stahl, Beton, Sendern, Empfängern, Generatoren begann zu arbeiten und überzog die ganze Umgebung mit unhörbaren, suchenden, tastenden Frequenzen.
    Der Turm fand ein klares Ziel. Denn wieder hatte ihn jemand herausgefordert, eines dieser Menschlein, die ihn fesseln und ihm seine ureigenen, kreativen Möglichkeiten rauben wollten, die ihm sein Schöpfer geschenkt hatte. Der Turm fand sein Ziel rasch und konzentrierte seine ganze Kraft auf ihn.
    Günter schlief fest. Aber die langen Finger des Turmes reichten auch in seine Träume hinein. Gegen drei Uhr morgens erwachte er und schrie aus Leibeskräften. Ein Alptraum übelster Sorte hatte von ihm Besitz ergriffen. Schweißgebadet und mit lautem Stöhnen landete er auf dem Fußboden, so dass Luise in dem Zimmer nebenan nun ebenfalls hochfuhr und im ersten Schrecken an einen Überfall glaubte. Als Günters Stöhnen nicht abriss, raffte Luise sich auf, stürzte aus dem Bett und in sein Zimmer, wo sie Günter am Boden mit dem Oberbett kämpfend fand. Ihre klare und jetzt durchaus erleichterte Stimme holte ihn endlich in die Realität zurück.
    Beschämt überblickte Günter die Situation, murmelte etwas von "verdammtem Alptraum", präziser, von einem "Sumpf", der ihn unaufhaltsam hinabgezogen hätte. Er erhob sich nicht sehr sportlich, sagte etwas von stickiger, schlechter Luft, wankte zum Fenster und öffnete die Flügel, um frische Luft hineinzulassen und natürlich um seine Haltung wieder zu gewinnen. Günters Blick fiel auf den Turm, der hell, in unbeweglichem weißen Glanz auf dem einzigen Hügel stand, den diese ansonsten völlig flache Gegend aufzuweisen hatte. Unbeweglich?
    "Luise!", stieß Günter hervor und zog sie zum Fenster. "Der Turm bewegt sich!"
    Luise starrte ebenfalls hinaus. Dann sahen sie sich an. Sie brauchten keine zwei Minuten, um sich anzuziehen. Dann polterten sie durch das schlafende Hotel auf die Straße und hasteten die Auffahrt zum Turm hoch. Das Pulsieren war jetzt klar zu erkennen. Die obere Plattform schien in ein ganz besonderes Licht getaucht zu sein.
    "Da steht einer oben!", keuchte Luise.
    Günter sah es jetzt auch, aber er sagte nichts. Verbissen rannte er weiter. Das Vorhängeschloss am Eingangstor hing lose in der Öse und schwankte im Rhythmus des Pulsierens hin und her, die eiserne Tür stand offen und schwankte leicht. Es sah so aus, als winke sie ihnen zu, als bedeute sie ihnen, einzutreten. In dichten Wellen liefen die Vibrationen den Turm hoch. Gespenstisch lautlos hielten sie das riesige Gebäude in Schwingung. Der Beton kräuselte und krümmte sich wie aufgeregtes Wasser. Aber auf unerklärliche Weise hielt dieses spröde und harte Material der Belastung stand.
    Keuchend standen Luise und Günter vor dem Eingang. Sie trauten sich nicht hinein. Stattdessen traten sie ein Stück vom Turm zurück, um die Plattform wieder sehen zu können. Von unten sahen sie seine Silbermähne im Mondlicht hell auf blinken. "Es ist Armand!" , rief Günter.
    Sie brachten keinen weiteren Laut hervor. Obwohl sie jetzt eigentlich hätten rufen müssen, diesen Menschen anschreien, um ihn aufzuhalten, ihn abzulenken; denn dort oben geschah doch, was nicht geschehen durfte. Aber eine unerklärliche Kraft hielt sie in der Rolle der hilflosen Beobachter fest, die nun gezwungen waren, Zeugen zu werden bei einem Geschehen, das bis jetzt noch niemals Zeugen gefunden hatte. Plötzlich flammte n alle Lichter im Turm auf. Luise näherte sich der Eingangstür.
    „Er bewegt sich immer noch", warnte Günter.
    Luise betrat den Flur, während der Turm in seinen
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