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Kuss des Apollo

Titel: Kuss des Apollo
Autoren: U Danella
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und der Hund, ein brauner Setter, entdeckte die Gestalt hinter den Büschen, lief hin und beschnupperte sie.
    »Na, du«, sagte Herbert und streckte dem Hund die Hand hin.
    Will, schon damals einer, der es genau wissen wollte, schob die Büsche auseinander, blickte auf die magere, ausgemergelte Gestalt und fragte: »Wo kommst du denn her?«
    »Aus Reval«, kam es mürrisch.
    »Aus was sagste da? Willst du mich veräppeln? Das ist doch in Russland.«
    Herbert ersparte sich die Antwort. Russland war es nicht und war es eben doch. Unnötig, das so einem doofen Bayern zu erklären. Er streichelte den Hundekopf.
    Aber Will war nicht doof und ein Bayer sowieso nicht.
    »Warte mal, das ist doch, das ist doch Lettland, nicht?«
    »Estland«, kam ein kurzer Bescheid. Aufgesehen hatte der Junge noch nicht.
    »Du bist doch nicht heute aus Reval gekommen. Ist doch ein ziemlich weiter Weg.«
    Nun blickte Herbert doch zu dem Fremden auf.
    »Ich bin schon lange unterwegs«, sagte er müde.
    Aber Will hatte schon erkannt, was mit dem anderen los war.
    Er zog ein Candy aus der Hosentasche, dank dem Sergeant hatte er jetzt so was.
    »Hier, iss das mal!«
    Herbert blickte schief auf das bunt eingewickelte Ding.
    »Was soll das denn sein?«
    »Was Süßes. So was Amerikanisches.«
    »Mag ich nicht.«
    »Kartoffelsuppe wär dir lieber, was?«
    Bei dem Wort Kartoffelsuppe schluckte Herbert. Seine Hand lag auf dem Hundekopf.
    Das gab den Ausschlag. Einer, von dem Rasso sich anfassen ließ, weckte Wills Interesse.
    »Wenn du mir das erklärst mit Reval, dann kannste mitkommen. Meine Tante hat eine sehr gute Kartoffelsuppe, mit Speck drin. Haben wir heute zu Mittag gegessen, ist aber noch genug da. Und Cheese haben wir auch, das ist so amerikanischer Käse in einem Glas.«
    Herbert schluckte wieder. »Aber …«, begann er.
    »Mach schon. Ist nicht weit.«
    Herbert erhob sich mühsam, er war ganz steif vom langen Sitzen, sein Magen schien nur noch aus einem eisigen Klumpen zu bestehen.
    So begann eine lebenslange Freundschaft.
    Manchmal in all den Jahren, wenn sie bei einem guten Essen saßen, wie im Herbst bei Janas Ente, sprachen sie von diesem Tag, und Will sagte: »Mitreden kann ich eigentlich nicht. Wirklich gehungert hab ich nie, zu Hause schon gar nicht, bei Tante Kitty auch nicht, na und später, da musste ich bloß noch auf meine Figur Acht geben.«
    Wilhelm Loske kam aus Schlesien. Seine Mutter und er hatten in Breslau gelebt. Sein Vater war gefallen.
    Im Januar 1945 waren die Russen schon sehr nahe, auch wenn der Wehrmachtsbericht es nach wie vor verschwieg. Doch Wills Mutter, eine gescheite und resolute Frau, hörte BBC und wusste Bescheid.
    »Es wird Zeit, dass du hier verschwindest«, sagte sie.
    »Und du?«
    »Ich bleibe auch nicht und warte, bis die Russen mich massakrieren. Erst mal fahre ich zu Onkel Franz nach Dresden. Da kommen die Russen bestimmt nicht hin, das werden die Amerikaner und die Engländer nicht zulassen. Aber du musst weg. Hanke hat gesagt, dass er Breslau bis zum letzten Stein verteidigen wird.« Hanke war der Gauleiter. »Dann wird kein Mann, ob alt oder jung, die Stadt verlassen können. Du bist ein Hitlerjunge, sie werden dich einsetzen und umbringen, genau wie deinen Vater.«
    »Und wo soll ich hin?«
    »Das habe ich mir schon überlegt. Du musst versuchen, dass du zu Kitty nach Bad Reichenhall kommst.«
    Da hatte er gelacht. »Und wie soll ich da hinkommen?«
    »Das habe ich mir auch überlegt. Ich werde mir von Runge eine Art Fahrerlaubnis beschaffen, irgendeinen amtlich aussehenden Schein mit vielen Stempeln, das gibt es, und Runge kann das, da wird drinstehen, dass du zu deiner kranken Tante musst, die deine Hilfe braucht.«
    Runge war der Ortsgruppenleiter, und zu ihm unterhielt Hanna Loske, aus zeitbedingten Gründen, ein freundschaftliches Verhältnis. Oft kam er zu ihr, um BBC zu hören, zu Hause konnte er das nicht. Nazi war er schon lange nicht mehr, und am liebsten wäre er auch auf und davon gegangen.
    »Nach Bad Reichenhall«, sagte Will kopfschüttelnd. »Ist ja wirklich der nächste Weg.«
    Vor drei Jahren hatten sie Kitty besucht, und es hatte ihnen in dem Ort unter dem Predigtstuhl gut gefallen. »Züge fahren noch. Es liegt an deiner Geschicklichkeit, wie du durchkommst. Am liebsten würde ich dich als Mädchen verkleiden.«
    Da hatte Will wieder gelacht. Er war sechzehn, sein Bart spross schon ansehnlich, den Stimmbruch hatte er lange hinter sich.
    »Und warum willst du nicht
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