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Kurz vor Mitternacht

Kurz vor Mitternacht

Titel: Kurz vor Mitternacht
Autoren: Agatha Christie
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das ist vorbei. Ganz und gar vorbei.»
    Lady Tressilian lehnte sich in ihre Kissen zurück.
    «Ich bin müde. Schick mir Barrett herauf, Kind. Ich will schlafen.»

8
20. Mai
    Thomas Royde, die Pfeife im Mund, sah zu, wie sein malaiischer Diener mit geschickten Händen seine Sachen zusammenpackte. Gelegentlich ließ er den Blick über die Pflanzung schweifen. Ein halbes Jahr lang sollte er diese Aussicht nicht mehr vor Augen haben, die ihm in den vergangenen sieben Jahren so vertraut geworden war.
    Seltsam, nach England zurückzukehren…
    Allen Drake, sein Kollege, schaute herein.
    «Hallo, Thomas, wie geht’s?»
    «Alles gepackt.»
    «Komm und trink einen Schluck, du verdammter Glückspilz. Ich platze beinahe vor Neid.»
    Thomas Royde verließ langsam den Schlafraum und gesellte sich zu seinem Freund. Er sagte nichts, denn er pflegte mit Worten äußerst sparsam umzugehen. Seine Bekannten hatten gelernt, seine Reaktion an der Art seines Schweigens zu erkennen.
    Er hatte eine untersetzte Gestalt, ein regelmäßiges, ernstes Gesicht und aufmerksame, nachdenkliche Augen. Er ging leicht seitwärts geneigt, die Folge einer bei einem Erdbeben erlittenen Quetschung. Deshalb wurde er von seinen Freunden Einsiedlerkrebs genannt. Sein rechter Arm und seine rechte Schulter hatten ihre Beweglichkeit eingebüßt, sodass er oft einen unbeholfenen und schüchternen Eindruck machte, obwohl er sich in Wirklichkeit keineswegs so fühlte. Allen Drake mischte die Getränke.
    «Nun denn», sagte er. «Weidmannsheil!»
    Royde murmelte als Antwort etwas Unverständliches.
    Drake betrachtete ihn neugierig.
    «Unerschütterlich wie immer», bemerkte er. «Weiß nicht, wie du das fertigbringst. Da bist du seit über sieben Jahren nicht mehr in der Heimat gewesen… Du gehörst wahrhaftig mehr zu unseren stummen Freunden als zum Menschengeschlecht. Hast du schon Pläne gemacht für deinen Urlaub?»
    Das bronzene Gesicht nahm plötzlich eine etwas tiefere Färbung an.
    «Ja, teilweise.»
    Allen Drake rief mit lebhafter Verwunderung: «Ich glaube, dahinter steckt ein Mädchen! Alle Wetter, du wirst wahrhaftig rot!»
    Thomas Royde wehrte unwillig ab: «Dummes Zeug!»
    Heftig zog er an seiner Pfeife. Dann brach er seinen bisherigen Rekord in Gesprächigkeit, indem er die Unterhaltung selber fortsetzte.
    «Vermutlich werde ich alles etwas verändert vorfinden.»
    Sein Freund sagte voll Neugier: «Ich hab mich immer gefragt, warum du auf deinen vorigen Urlaub verzichtet hast. Noch dazu in letzter Minute.»
    Royde zuckte die Schultern.
    «Schlechte Nachrichten von daheim.»
    «Natürlich. Ich vergaß. Dein Bruder kam ja damals bei einem Autounfall ums Leben.»
    Thomas Royde nickte.
    Aber plötzlich fiel Drake etwas ein. Thomas hatte seine Heimreisepläne aufgegeben, bevor die Nachricht vom Tod seines Bruders eintraf!
    Nach einem Sprung über die drei Jahre fragte Drake:
    «Stand dir dein Bruder sehr nahe?»
    «Adrian? Nicht besonders. Wir gingen jeder unsern eigenen Weg. Er war Anwalt.»
    «Ja, das ist wirklich ein Unterschied», meinte Drake. «Ein Mann, der von der Geschicklichkeit seiner Zunge lebt. Deine Mutter lebt noch, nicht wahr?»
    Royde nickte.
    «Und auch eine Schwester?»
    Royde schüttelte den Kopf.
    «Oh, ich dachte. Auf der einen Fotografie…»
    «Keine Schwester. Entfernte Kusine. Sind zusammen aufgewachsen, da sie Waise war.»
    «Ist sie verheiratet?», erkundigte sich Drake.
    «Sie war. Mit Nevile Strange.»
    «Ach, dem bekannten Tennisspieler?»
    «Ja. Jetzt ist sie geschieden.»
    Drake dachte: Und nun fährst du heim, um dein Glück zu versuchen. Barmherzigerweise wechselte er den Gesprächsgegenstand.
    «Wirst du auf die Jagd gehen?»
    «Zuerst nachhause. Dann will ich in Saltcreek ein bisschen segeln.»
    «Ich kenne den Ort. War mal in dem Hotel dort. Ziemlich altmodischer Kasten.»
    «Ja, Hotel Baimoral. Vielleicht steige ich dort ab, oder ich wohne bei Freunden, die in der Nähe ein Haus haben. Eine nette, friedliche Gegend. Da wird man in Ruhe gelassen.»
    «Ich weiß», nickte Drake. «So ein Ort, wo nie etwas geschieht.»

9
29. Mai
    «Es ist wirklich sehr ärgerlich», sagte der alte Treves. «Seit fünfundzwanzig Jahren habe ich meine Ferien immer in Leahead im Seehotel verbracht, und nun wird das Haus dies Jahr umgebaut.»
    Rufus Lord erwiderte tröstend: «Na, es gibt sicher noch andere Hotels dort, nehme ich an.»
    «Ich glaube, ich werde überhaupt nicht nach Leahead gehen. Im Seehotel kannte man alle meine
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