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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab
Autoren: Lisa Gardner
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Aufmerksamkeit auf mich zog.
    Keine Wettkämpfe mehr. Kein Leben mehr.
    Schließlich machte ich meinem Vater bittere Vorwürfe: »Vorbereitet sein? Welchen Sinn hat es, vorbereitet zu sein, wenn wir ohnehin ständig weglaufen?«
    »Ja, Liebling, natürlich hat du recht«, erwiderte Vater. »Aber wir können weglaufen, weil wir so gut vorbereitet sind.«
    Ich ging gleich nach meiner Morgenschicht bei Starbucks zum Boston Police Department. Die Haare trug ich offen – die dunklen Strähnen reichten mir weit über den Rücken. Riesige Ohrringe baumelten an meinen Ohrläppchen. In diesem Aufzug konnte ich als Südamerikanerin durchgehen und fand, dass mir das an diesem Nachmittag ein wenig Sicherheit geben würde.
    An der State Street war wie immer die Hölle los. Ich lief die Treppe hinter, dem Uringestank entgegen, der in jeder U-Bahn-Station vorherrschte. Hier tummelte sich die übliche Bostoner Mischung – Schwarze, Asiaten, Latinos, Weiße, Reiche, Alte, Arme, Geschäftsleute, Arbeiter. Liberale liebten diese Vielfalt. Wir anderen wünschten uns nur, im Lotto zu gewinnen und ein eigenes Auto kaufen zu können.
    Ich suchte mir eine ältere Dame in Begleitung ihrer halbwüchsigen Enkelin aus und stellte mich neben sie. Nicht so nahe, dass es als Belästigung ausgelegt werden konnte, aber doch nahe genug, um von einem Beobachter als dazugehörig angesehen zu werden.
    Als die U-Bahn endlich hielt, drängten wir nach vorn und quetschten uns in den Waggon. Die Türen schlossen sich zischend, und die Bahn raste in den Tunnel.
    Es gab nicht genügend Sitzplätze. Ich hielt mich an einer Metallstange fest. Ein schwarzer Junge mit rotem Stirnband und übergroßem Sweatshirt stand auf, um der älteren Dame Platz zu machen. Sie bedankte sich bei ihm, aber er sagte kein Wort. Ich trat von einem Bein aufs andere und studierte die Karte mit den bunt eingezeichneten Fahrstrecken über der Tür, während ich aus den Augenwinkeln mein Umfeld abzuschätzen versuchte.
    Ein älterer Asiate zu meiner Rechten, gesenkter Kopf und hängende Schultern; das war nur jemand, der versuchte, diesen Tag zu überstehen. Die ältere Dame saß neben ihm, die Enkelin stand vor ihr, als müsste sie Wache halten. Dann kamen vier junge Schwarze. Ihre Schultern schwankten mit den Bewegungen der Bahn, während sie stumm auf den Boden starrten.
    Hinter mir war eine Frau mit zwei kleinen weißen Kindern. Wahrscheinlich ein Kindermädchen, das mit ihren Schützlingen einen Ausflug in den Park machte. Zwei halbwüchsige Mädchen neben ihr, beide herausgeputzt mit Zöpfen und funkelnden Diamanten in den Ohrläppchen. Ich drehte mich nicht zu ihnen um, hatte sie aber auf meinem Radar. Mädchen sind unberechenbarer als Jungen.
    Ich erreichte die Haltestelle in der Ruggles Street ohne Zwischenfälle. Die Türen glitten auf, ich stieg aus. Niemand schenkte mir einen zweiten Blick.
    Das neue Polizeipräsidium in Roxbury hatte ich noch nie betreten. Allerdings hatte ich Geschichten von mitternächtlichen Schießereien auf dem Parkplatz und von Leuten gehört, die direkt vor der Tür ausgeraubt worden waren. Offensichtlich war es eine politische Entscheidung, das Präsidium in Roxbury anzusiedeln – vielleicht wollte man die Gegend nachts sicherer machen. Nach allem, was ich gelesen hatte, schien das nicht zu funktionieren.
    Das Präsidium war nicht zu übersehen. Zum einen war es ein riesiges Gebäude aus Glas und Stahl inmitten von schäbigen Wohnhäusern. Zum anderen waren rund um den Eingang Betonbarrikaden errichtet, als handelte es sich um eine Behörde in Bagdad.
    Ich stellte meine Tasche ab, nahm einen braunen Cordblazer heraus und zog ihn an. Das war das Beste, was ich tun konnte, um mich repräsentabel herzurichten.
    Gleich am Eingang empfing mich eine Reihe Metalldetektoren. Der diensthabende Officer wollte meinen Führerschein sehen und inspizierte meine Tasche.
    Am Empfang kramte ich den Zeitungsartikel hervor, suchte noch einmal den Namen der Frau, die die Ermittlungen leitete, obwohl ich ihn mir sehr genau gemerkt hatte.
    »Werden Sie erwartet?«, erkundigte sich der Uniformierte mit strengem Blick.
    »Nein.«
    Wieder ein forschender Blick. »Sie ist derzeit sehr beschäftigt.«
    »Sagen Sie ihr einfach, Annabelle Granger möchte sie sprechen. Das wird sie bestimmt interessieren.«
    Achselzuckend griff der Officer nach dem Telefon und gab meine Nachrichten durch. Ein paar Sekunden verstrichen. Seine Miene blieb unbeweglich. Dann legte er den Hörer
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