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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund
Autoren: Stephen Booth
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Lachen, ein Murmeln, ein erregtes Keuchen. Und schließlich das Eindringen. Der reißende Schmerz und der Schrei, den die Hand auf ihrem Gesicht erstickte, das verzweifelte Ringen nach Luft. »Wie gefällt dir das, Bullensau? Wie gefällt dir das, Bullensau?« Tierische Geräusche und noch mehr Gelächter, eine warme Nässe, die sie ausfüllte, bevor es zu Ende war. Die Erleichterung, als die schwere Last von ihr rutschte, als die dunkle Gestalt verschwand und sie dachte, es wäre vorbei.
    Aber dann geschah es noch einmal.
    Und noch einmal.
     
    Wie eine Blinde ging sie weiter, ohne etwas von ihrer Umgebung wahrzunehmen, alle Anstrengungen darauf ausgerichtet, die Reaktionen ihres Körpers zu kontrollieren. Sie versuchte, sich auf Ben Cooper zu konzentrieren, der irgendwo vor ihr im Wald war, ohne zu wissen, in welcher Gefahr er schwebte. »Du lässt mich doch nicht im Stich?«, hatte er gesagt.
    Schließlich kam sie auf eine Lichtung, sie spürte es gleich am Untergrund. Ein Geräusch drang zu ihr durch, ein echtes Geräusch, das ins Hier und Jetzt gehörte, ein Geräusch, für das sie eine Erklärung finden musste.
    Als sie sich umdrehte, um das Geräusch in den bedrohlichen Schatten zu identifizieren, zwang ihr die Erinnerung noch immer Bilder auf, die sie nicht sehen wollte. Sie stand neben einem großen hohen Baum, dessen dichte Krone vor dem blassen Himmel kaum auszumachen war. In den Blättern rauschte und raschelte es leise, als ob eine riesige Kolonie kleiner Tiere direkt über ihr in den Ästen säße. Sie dachte an Tausende winziger Fledermäuse, die ihre dünnen, papierzarten Flügel entfalten, um sich in flatternden Schwärmen auf sie zu stürzen und auf ihren Schultern zu landen. Es gab nichts Schlimmeres als etwas, was man nur hören, aber nicht sehen konnte.
    Plötzlich knarrte es laut, als der Wind einen schweren Ast ergriff, und das Knacken im Laub wurde stärker. Der unverkennbare Geruch nach Urin und Kot stieg ihr in die Nase. Plötzlich nahm sie eine schwerfälligere Bewegung zwischen den Ästen wahr, und ein großes Etwas schwang auf sie zu.
     
    Dreihundert Meter von Diane Fry entfernt setzte Ben Cooper die Verfolgung fort, nachdem einer der alten Männer wieder auf dem Weg aufgetaucht war. Er hörte ihn kommen, bevor er ihn sah, hörte ihn atmen und kaum vernehmlich murmeln.
    Der Mann nahm die linke Abzweigung, ging ein paar hundert Meter und verschwand plötzlich zwischen den Bäumen. Cooper hatte Schwierigkeiten, die genaue Stelle zu finden, wo er den Weg verlassen hatte. Kaum war er selbst unter den Bäumen, wusste er nicht mehr weiter. Es war aussichtslos, jemanden zwischen wild rankenden Brombeerbüschen und dicht an dicht stehenden Stämmen alter Eichen und Buchen aufspüren zu wollen. In der Luft hing noch schwach der Geruch von Pfeifenrauch. Aber er musste sich damit abfinden, dass er den alten Mann verloren hatte, dem er gefolgt war.
    Von Verzweiflung erfüllt hob Cooper den Kopf, als ein schriller Schrei die Stille des Waldes durchschnitt.

29
    Das Dial Cottage war fast völlig dunkel. Nur hinter den Esszimmervorhängen brannte Licht, ein huschendes, changierendes Leuchten, das erstarb, bevor es den Garten oder das dahinter liegende Dunkel erreichte.
    Im Schein der beiden Taschenlampen, die auf den gepflasterten Weg gerichtet waren, fielen die Schatten der Rosensträucher über die Blumenbeete, wie Knochenfinger, die nach dem Haus griffen. Aus Richtung Edendale näherte sich das Heulen einer Sirene dem Dorf. Das Blaulicht eines Krankenwagens wurde vom Nachthimmel reflektiert.
    Ben Cooper und Diane Fry wussten, dass er nicht mehr benötigt wurde. Fry stand noch allzu deutlich das Bild des alten Mannes vor Augen, der an einem drei Meter hohen Ast gehangen hatte, die Spitzen seiner schwarzen Schnürstiefel zur Erde gerichtet, den Kopf schief auf die Seite gelegt, wie zu einem letzten spöttischen Gruß. Als sie sich dem sanft schwingenden Toten zögernd genähert hatte, war ihr aufgefallen, dass er mit der rechten Hand eine alte lederne Hundeleine umklammert hielt.
    Sie hatte geschrien, als die dunkle, leise raschelnde Gestalt, vom Wind in Schwingungen versetzt, sie mit den baumelnden Füßen im Gesicht getroffen hatte. Dann war auch schon Ben Cooper da gewesen; er war mit voller Wucht auf sie geprallt, als er ihr zu Hilfe eilte. Instinktiv hatte sie ihn sofort erkannt, an seinem Geruch oder an seinem Atem, sodass sie ihn nicht angegriffen hatte, wie sie es bei jedem Fremden getan
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