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Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer

Titel: Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer
Autoren: Wladimir Kaminer
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sprach.
    »Das Wichtigste sind die Zutaten«, klärte er mich auf. »Wir brauchen das richtige Lamm. Und das gibt es nur, so hat es sich historisch ergeben, an den Gemüseständen des Kottbusser Damm.«
    Bei uns im Osten sind hauptsächlich die vietnamesischen Händler für das Gemüse zuständig. Sie sind fleißig, höflich und diskret. Man kann sich keinen Vietnamesen vorstellen, der unbekannten Fußgängern »Fünf Kilo Bananen für einen Euro!« ins Ohr schreit. Die vietnamesischen Verkäufer sitzen ruhig auf ihren Klappstühlen neben dem Gemüse, das sich quasi von alleine verkauft. Wenn es dunkel wird, klappen sie ihre Stühle zusammen und gehen nach Hause, TV-Hanoi gucken, statt aus der Dunkelheit »Alles billig, Rest umsonst!« zu brüllen. Die Tomaten in ihren Läden sind oft besser als anderswo, aber Lammfleisch, das gibt es nur am Kottbusser Damm!
    Der türkische Verkäufer blickte uns misstrauisch an, als Alik seinen Wunsch äußerte. »Drei obere Teile des hinteren Fußes?«, wiederholte er in einwandfreiem Deutsch. »Hast du einen Witz gemacht? Wo kommt ihr eigentlich her, so schlau?«
    Der Verkäufer sah mit seinem scharfen Schnurrbart und einer dicken Goldkette um den Hals wie ein Lammfleisch-Professor aus. Aber mein Freund war auch nicht ohne. Alik hatte einen Schnurrbart am ganzen Körper, darüber zwei fingerdicke Goldketten und ein goldenes Armband mit einer Uhr, so groß wie eine Teetasse.
»Wir sind aus Russland«, sagte er, »genau genommen aus der Sowjetunion.«
    »He, hast du noch einen Witz gemacht?«, fragte ihn der Fleischer ungläubig. »Ich kenne die Russen gut, viele von denen wohnen in dieser Gegend. Russen sehen ganz anders aus. Ehrlich, gib zu, ihr seid Albaner!«
    »Hast du einen Witz gemacht?«, konterte Alik. »Wir sind keine Albaner. Russland war früher groß!« Alik zeigte mit den Händen, wie groß Russland früher war. Einige Büchsen mit bulgarischem Feta und Oliven fielen zu Boden. »Ein sehr großes Land, viele unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Sprachen…«, dabei deutete Alik mit den Fingern eine Installation an, die die komplizierte geopolitische Lage unserer alten Heimat wiedergeben sollte, noch mehr aber an ein doppeltes »Arschloch«-Zeichen erinnerte.
    Der Fleischer schaute sich die Figur an und wurde nachdenklich. Meinem Freund gelang es offensichtlich, seine Akzeptanz zu gewinnen. Wir gingen gemeinsam an der Fleischtheke entlang. Alik lobte den Kollegen für die richtige Fleischhaltung, der Fleischer fing an zu prahlen:
    »Gestern brachte mir einer drei Lämmer«, erzählte er, »ich habe alle drei nach Hause geschickt. Ich nehme nur Tiere, die nach Fleisch aussehen, aber davon gibt es immer weniger. Die drei von gestern sahen aus wie…« Der Fleischer suchte nach dem richtigen Wort und half sich mit den Händen: »Wie Kinderstreichelzoo!«
»O Mann! Nein, das kann nicht wahr sein!«, schüttelte Alik den Kopf, er nahm die Sorgen des Fleischers sehr ernst.
    Wir kauften die richtigen Oberteile, dazu noch jede Menge Zwiebeln, ägyptischen Pfeffer und frische Minze, obwohl der Verkäufer unser Vorhaben nicht verstehen wollte. »Brauchst keine Minze, einfach braten und essen!«, riet er.
    »Jeder hat seine eigenen Rezepte«, erwiderte Alik diplomatisch. Abschließend redeten die beiden noch kurz über das richtige Zerhacken, wobei sich multikulturelle Abgründe auftaten. »So und nicht so«, hörte man von der Theke.
    »So nicht!«
»Nein so!«
»So und so!«
Der Fleischer bestand hartnäckig auf seiner Art; er gestikulierte
    dabei so heftig mit dem Beil, dass mein Freund jede Sekunde um einen Kopf kürzer zu werden drohte, er gab aber trotzdem nicht auf. Der Fleischer wollte so wie immer, Alik wollte aber wie in einem armenischen Fleischladen in Baku 1979, und er bekam letzten Endes, was er wollte.
    Ich legte drei richtig zerhackte Hinterbeine, also unser ganzes frisches Lamm vom Kottbusser Damm, in eine große Stofftasche mit drei verunglückten indischen Kosmonauten darauf, die trotz ihres Absturzes sehr optimistisch lächelten. Obendrauf packte ich noch den Rest und warf alles auf den Vordersitz eines Taxis. Alik und ich setzten uns nach hinten.
    »Was riecht da so schön?«, fragte uns der Taxifahrer.
»Minze«, sagten wir.
»Oh, dieser wunderbare Geruch erinnert mich an meine Heimat!«, sagte er. »Ich komme aus einem Dorf in Ost-Anatolien, bei uns im Dorf waren überall diese Blätter! Sie machten die Luft süß, und wenn man zu lange Minze
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