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Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub

Titel: Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
Autoren: Bernd Rümmelein
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nervös um und wirkte wie ein durch die Jagd gehetztes Tier, das jeden Augenblick und von allen Seiten mit einem Angriff auf ihr Leben rechnete. Dennoch begegnete die Menge der Regententochter in der Hora der Trauer mit Respekt. Nur hin und wieder waren empörte Rufe und vereinzelt Schmerzensschreie oder ein Stöhnen zu hören, als ihr die Leibgardisten rücksichtslos den Weg durch die zahlreich versammelten Trauergäste bahnten und dabei den einen oder anderen Klan mit ihren Eisenknüppeln unsanft zur Seite stießen.
    Als sie das Podest erreicht hatten, trat aus den Schatten eines Gebäudes dahinter ein in goldenes Gewand gehüllter Praister, der über der Hüfte mit einer breiten blutroten Schärpe umwickelt war.
    Über dem Kopf trug der Praister eine Furcht einflößende Maske in der Farbe vergilbter Knochen, die das gesamte Gesicht verdeckte und die in einem langen, dolchartigen Schnabel endete, aus welchem feine Rauchwolken aufstiegen. Die Maske war dem Aussehen des berüchtigten Schattenvogels nachgebildet. Ein sagenumwobener Totenvogel und Aasfresser des Schreckens, den Fantasien und Ritualen der Praister entsprungen und durch zahlreiche Legenden inzwischen gefestigter Glaubensbestandteil der Nno-bei-Klan aus dem Reich der Schatten. Den Schriften der Praister folgend empfing der Schattenvogel die Toten auf halbem Wege aus den Händen der Praister und brachte sie auf dem letzten Stück ihres Ganges zu den Schatten.
    Die Maske war mit zahlreichen schwarzen Federn verziert, die bis zu den Schultern des Praisters reichten und seinem Kopf durch ihre geschickte Anordnung ein gewaltig großes Aussehen verliehen. Jeder wusste, hinter der Vogelmaske konnte sich nur Thezael, der oberste Praister, verbergen.
    Thezael verneigte sein Haupt vor der Tochter des Regenten und ihrer Mutter. Er reichte ihr die Hand und führte sie über die Stufen auf das Podest. Sie stellte sich neben die Bahre ihres Vaters zwischen die dort über die Toten wachenden Praister.
    Die Zeremonie konnte beginnen.
    Thezael hatte sich, das Gesicht zur Menge gewandt, hinter den Opferaltar begeben und breitete die Arme wie zu einer Beschwörung weit aus. Die Säume der Ärmel seines Gewandes fielen weit ausgebreitet wie goldene Schwingen herab und der Praister sah auf einige Fuß Entfernung aus, als sei er selbst ein Schattenvogel.
    »Schatten!«, erhob sich seine Stimme klar und deutlich über die Köpfe der Versammelten hinweg. »Hört die Stimmen der Lebenden. Schatten! Lauscht dem Flüstern der Toten. Schatten! Wir flehen Euch an; wir bitten Euch im Namen des mächtigen Kojos Vrakrar, der über das Reich der Schatten herrscht und Euch befiehlt. Nehmt die Seelen der Toten mit Euch. Zeigt ihnen den Weg in Euer Reich und lasst sie nicht hilflos in der Dunkelheit umherirren und den Lebenden als ruhelose Geister erscheinen. Schenkt denjenigen den Frieden, die ihn durch ihre Treue zu den Kojos, durch Gutes und Opferbereitschaft verdient haben, und bestraft diejenigen in den Flammen der Pein, die ihr Leben durch ihren Frevel an den Kojos, durch Bösartigkeit und falsche Magie verwirkt haben.«
    Thezael hielt inne, drehte den Kopf und ließ dabei langsam den durch die Maske des Schattenvogels versteckten Blick über die Trauergäste schweifen. Was er sah, stellte ihn zufrieden. Bleiche und ängstliche Gesichter, auf denen sich das Licht der Fackeln flackernd abzeichnete und bewegliche Schatten warf. Die Menge lauschte gebannt den Worten des Praisters, der die Schatten zu den Toten rief. Den beschwörenden Worten Thezaels ohne Furcht zu begegnen fiel den meisten schwer. Durch die Art des Vortrags erzeugte er Ängste in den Köpfen, die mit Vernunft nicht zu erklären waren und denen sie sich nicht entziehen konnten. Sie hatten das Gefühl, als ob jeden Augenblick die dunklen und kalten Finger der Schatten aus dem Nichts auftauchten, um die Toten auf dem Podest mit sich zu nehmen. Wer wusste schon, wen sie noch mitnahmen, wenn sie dem Ruf erst gefolgt waren. Thezael jedoch war klar, dass nichts dergleichen geschehen würde. Der letzte Gang des Regenten und des Fürsten war schon vor Tagen erfolgt. Dennoch freute sich der oberste Praister über die Wirkung seiner Worte und genoss es, mit der Menge und ihren kaum zu begreifenden Gefühlen zu spielen. In jenen Augenblicken fühlte er sich mächtig. Sie waren wie Schafe, die ihm blind vertrauten. Er hätte alles von ihnen verlangen können.
    »Schatten!«, fuhr der oberste Praister mit der Anrufung fort. »Die
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