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Kronhardt

Titel: Kronhardt
Autoren: Ralph Dohrmann
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machen wir wieder, Junge.
    So schön wie früher?
    Donnerwetter, rief der Schupo, und Willem zuckte. So schön wie früher, Junge. Das will ich doch hoffen. Und nach einer Pause: Als ich so ein Bengel war, da bin ich auch gestromert, und damals gab es noch ein paar Alte, die wußten von den Helligen. Denn früher wurden dahinten Schiffe gebaut, doch als ich gestromert bin, da hatte der Kaufmann Roselius längst mit seinen Häusern hier angefangen. Expressionistisch, sagten die Menschen damals, aber die meisten wußten gar nicht, was das war.
    Die Nazis nannten die Häuser dann entartet, und plötzlich sagten alle entartet, und jeder schien zu wissen, was das war. Aber mir haben dem Roselius seine Häuser schon immer gefallen. So, Junge. Jetzt muß ich wieder an Bord, und der Schupo trat neben das Portal und bewachte die Instandsetzung.
    Willem fand es seltsam, wie nett so ein Schupo sein konnte. Er stellte sich vor, wie dieser Mann sich die Mutter und Kronhardt zur Brust nahm – Herrschaften, Strammstehen und Hacken zusammen ist vorbei, und wer das den Kindern nicht beibringt, wird verhaftet.
    An Brandmauern und Trichtern vorbei lief er in den Schnoor.
    Wie durch ein Wunder hatte dieses Viertel den Krieg überstanden, und die niedrigen Häuser lagen an einer Schnur gezogen wie eh.
    Gerüste waren aufgebaut, Arbeiter hantierten mit Stemmeisen oder mischten Zement, und wenn der Polier zur Pause rief, holten sie Stullen und Henkelmänner hervor. Auch der Schnoor wurde schöngemacht, und sein Vater hatte erzählt, daß er von jeher das Armeleuteviertel gewesen war. Mit Aussatz hinter den Türen und Fischblut in den Gassen, doch jetzt wurden auch diese Spuren getilgt, und auf großen Tafeln stand das Wort Aufschwung geschrieben. Wo bereits erste Gerüste abgebaut waren, gab es Andenken zu kaufen; Schneekugeln mit Roland oder Stadtmusikanten, und auf den Stelltafeln der Restaurants las Willem: Heute Stint, heute Kükenragout, und dazu ein abgängiger Franzose vom Ratskellermeister.
    Schütteres Grau unter verwischter Wolkendecke, so schnitt der Fluß durch die Stadt. Matt und mit schuppigen Reflexen, aufgeklatscht und wieder glattgezogen von schwarzen Lastkähnen, und in der wummernden Luft die trägen Schläge der Möwen.
    Willem sah das fließende Mark, diesen Keim der Armen und Reichen, und sein Vater hatte gesagt, daß die Stadt hier entsprungen war. Zuerst Jäger und Sammler, die unter fellbeworfenen Gestängen an der Tränke lagerten; dann erste Spuren von Seßhaftigkeit, schilfgedeckte Pfahlbauten, Muschelberge und Körbe mit Krebsen und Fischen. Am Strand Einbäume und Flöße, später trieben kraweelgebaute Frachter den Handel voran, und dann zogen Karavellen in kolumbushafte Ferne und brachten fremde Welten in die Lagerhäuser zurück. So wuchs die Stadt und wurde reich; über den Fluß hielt sie Kontakt zu den Ländern jenseits der Meere, und immer neue Generationen zogen aus, die zum Abschied alle ihre Hand auf den Roland legten.
    So lief der Fluß auf und wieder ab. Zog gegen den Horizont und kam von dort zurück; stand nie still, brachte ständig Neues hervor und ließ keine Wirklichkeit endgültig sein. Ein Keim, in dem zuletzt noch arm und reich verwischte, und Willem hatte es geliebt, mit dem Vater am Fluß zu sitzen. Seinen Geschichten zu lauschen, einfach nur dazusein. Das Große im Kleinen zu sehen, das Viele im Wenigen, und schließlich war der Vater auf dem Fluß gestorben.
    Sie hatten vom Martinianleger losgemacht, auf einer Barkasse zur großen Hafenrundfahrt, und an Bord war er einfach gestorben. Ein seltsamer Tod, über den die Zeitungen noch lange geschrieben hatten.
    Nach Osten hin gab das in Stein gezwängte Ufer Streifen frei von Strand, und bald enthüllte die Ebbe den Schlick dahinter; eine keimende Wildnis, schmatzend und stieläugig, und manchmal fand Willem Seeglas oder Pferdezähne; kleine Schätze, die er heimlich sammelte oder in der Schule tauschte. Wenn das Wasser zurückkam, stieg es in die Schilfgürtel und vertrieb das huschende Getier. Die Männer auf den Flußwiesen trugen Landserkäppis und am Gürtel eine Hippe. Sie kappten Ried und Löwenzahn, sie räucherten die Bisamgänge, kontrollierten den Deichkörper, und im Sommer riefen die Frösche. So lief der Fluß auf, und er lief ab. Schluckte die Spuren von Himmel und Wolken
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