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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Autoren: Orlando FIGES
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Krimhäfen Kertsch und Enikale, wo sich das Asowsche und das Schwarze Meer vereinen, zugesprochen. Daneben sahen sich die Osmanen gezwungen, ihre Souveränität über das Krim-Khanat aufzugeben und den Tataren Unabhängigkeit zu gewähren. Auch erhielten russische Schiffe freie Durchfahrt durch die Dardanellen, die das Schwarze Meer mit dem Mittelmeer verbinden. Während die Russen also nur ein bescheidenes Territorium erlangten, wurden ihnen erhebliche Rechte zuteil, sich zum Schutz der Orthodoxen in osmanische Angelegenheiten einzumischen. Kutschuk-Kainardsche stellte den früheren Zustand der Fürstentümer, das heißt ihre Unterordnung unter osmanische Souveränität, wieder her, doch den Russen wurde das Recht zuerkannt, die orthodoxe Bevölkerung zu beschützen. Außerdem erhielt Russland die Erlaubnis, eine orthodoxe Kirche in Konstantinopel zu bauen, was es als Vollmacht interpretierte, die orthodoxen Untertanen des Sultans zu vertreten. Der Vertrag erlaubte den christlichen Kaufleuten des Osmanischen Reiches (Griechen, Armenier, Moldauer und Walachen), ihre Schiffe in türkischen Gewässern mit einer russischen Fahne zu beflaggen – ein beträchtliches Zugeständnis, das den Russen ermöglichte, ihre kommerziellen und religiösen Interessen gleichzeitig voranzutreiben. Diese religiösen Ansprüche hatten einige bemerkenswerte Konsequenzen. Da die Russen die Donaufürstentümer nicht annektieren konnten, ohne auf den Widerstand der Großmächte zu stoßen, versuchten sie stattdessen, der Hohen Pforte Konzessionen abzuringen, durch welche die Fürstentümer zu halb autonomen Regionen unter russischem Einfluss werden würden. Die gemeinsame Religionszugehörigkeit sollte, wie sie hofften, im Lauf der Zeit Bündnisse mit den Moldauern und Walachen ermöglichen, welche die osmanische Autorität schwächen und die russische Vorherrschaft über Südosteuropa sicherstellen würden, falls das Osmanische Reich zusammenbrach.
    Ermutigt durch den Sieg über die Türkei, verfolgte Katharina eine Politik der Kooperation mit den Griechen, deren religiöse Interessen Russland, wie sie meinte, laut dem Vertrag schützen durfte und musste. Sie entsandte Militärvertreter nach Griechenland, ließ griechische Offiziere an ihren Militärakademien ausbilden, lud griechische Händler und Seeleute ein, sich in ihren neuen Städten an der Schwarzmeerküste anzusiedeln, und bestärkte die Griechen in ihrem Glauben, wonach Russland ihre Bewegung der nationalen Befreiung von den Türken fördern werde. Stärker als jeder andere russische Herrscher identifizierte sich Katharina mit der griechischen Sache. Unter dem wachsenden Einfluss ihres höchsten Militärbefehlshabers, Staatsmanns und bevorzugten Höflings, Fürst Grigori Potemkin, träumte die Zarin sogar davon, das alte Byzantinische Reich auf den Ruinen des Osmanischen Reiches neu aufzubauen. Der französische Philosoph Voltaire, mit dem sie korrespondierte, sprach sie als »Votre majesté impériale de l’église grecque« an, während Baron Friedrich Grimm, ihr am höchsten geschätzter deutscher Briefpartner, sie als »l’Impératrice des Grecs« bezeichnete. Katharina stellte sich dieses hellenische Reich als gewaltiges orthodoxes Imperium vor, verteidigt von Russland, dessen slawische Sprache, wie Wassili Tatischtschew, der erste große Historiker Russlands, fälschlich annahm, einst die Lingua franca des Byzantinischen Reiches gewesen sei. Katharina gab ihrem zweiten Enkel den Namen Konstantin nach dem ersten und letzten Kaiser von Byzanz. Im Gedenken an seine Geburt im Jahr 1779 ließ sie spezielle Silbermünzen mit dem Bild der großen Sankt-Sophiakirche (Hagia Sophia) in Konstantinopel prägen, die seit der osmanischen Eroberung grausamerweise in eine Moschee verwandelt worden war. Statt eines Minaretts war auf der Münze ein orthodoxes Kreuz auf der Kuppel der früheren byzantinischen Basilika zu sehen. Um ihren Enkel zum Herrscher dieses wieder erstandenen orientalischen Reiches ausbilden zu lassen, holte die russische Zarin Kinderschwestern aus Naxos herbei, die ihn Griechisch lehrten – eine Sprache, die er als Erwachsener fließend beherrschte. 15
    Es blieb immer unklar, wie ernst die Zarin dieses »griechische Projekt« nahm. In der Form, in der es 1780 von Graf Besborodko, ihrem Privatsekretär und inoffiziellen Außenminister, aufgesetzt wurde, sah das Projekt nicht weniger als die Vertreibung der Türken aus Europa, die Aufteilung ihrer Balkangebiete
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