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Kramp, Ralf (Hrsg)

Kramp, Ralf (Hrsg)

Titel: Kramp, Ralf (Hrsg)
Autoren: Tatort Eifel 4
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müssen die Polizei holen«, heulte Svenja lallend. »Ich bin Schuld. Ich habe ihn umgebracht.«
    Aber Fabian meinte: »Bist du verrückt? Guck dich mal an, du bist hackedicht. Willst du unser Leben noch weiter ruinieren?«
    Sie schluchzte laut auf. »Aber das muss ich doch melden.«
    »Quatsch! Du bist Rechtsanwältin. Dann ist deine ganze Karriere im Eimer. Außerdem war Dieter ein kranker, alter Mann. Wenn wir jetzt die Polizei holen, macht ihn das auch nicht wieder lebendig.«
    Da nickte Svenja und schwieg.
    Die beiden erwiesen sich als einfallsreich. Sie wickelten meinen toten Körper in eine große, grüne Plastikplane und fuhren ihn mit einer Schubkarre in den Garten, und zwar genau dort hin, wo ich es vermutet hatte: Zum Ameisenhaufen. Erst trugen sie mit Schaufeln einen Teil des Hügels ab. Dann legten sie meine Leiche hinein und deckten sie mit dem abgetragenen Material wieder zu. Die geplante Feier verschoben sie auf die nächste Woche, schließlich mussten sie ja noch die Einfahrt reinigen. Ich hatte auch äußerlich geblutet, aber mit dem Hochdruckreiniger war das alles kein Problem.
    Und ich lag im Haufen. Die Blutroten Raubameisen krabbelten unter mir und auf mir und bald auch in mir. Mit ihrer Säure zersetzten sie meine Weichteile. Nach einem Monat konnten Fabian und Svenja meine Knochen ausgraben. Sie waren schön sauber und trotz des Rheumas noch ganz gut in Schuss, abgesehen von vier Rippen, die ich mir beim Aufprall gebrochen hatte. Fabian und Svenja warteten weitere vierzehn Tage ab, dann meldeten sie mich als vermisst.
    »Herr Olschewski wollte also für sechs Wochen an die Nordsee?«, fragte ein Polizeibeamter mit drei Silbersternchen pro Schulter.
    »Ja«, bestätigte Fabian. »Er hat uns aber nicht gesagt, wohin genau. Nur dass er am 19. August wiederkommen wollte, also schon vorletzten Montag.«
    Die Polizisten gaben sich Mühe. Sie forschten bei sämtlichen Hotels, Campingplätzen und Kurverwaltungen an der Nordsee nach – ohne Erfolg. Schließlich kamen sie auf die Idee, mich in meinem eigenen Garten zu suchen, natürlich auch in dem kleinen Fichtenwald. Ein junger Kommissar schien Ahnung zu haben. Er zeigte auf den Ameisenhügel und meinte: »Da lässt sich gut eine Leiche verstecken.« Dann ließ er sich eine Schaufel bringen und begann sofort zu graben.
    Die Ameisen waren inzwischen an solche Störungen gewöhnt. Nachdem die Polizei den Haufen vergeblich durchwühlt hatte, bauten die emsigen Tierchen ihn wieder auf, und ich gelte seit dieser Zeit als dauerhaft vermisst. Irgendwann werden die Gesetzeshüter mich für tot erklären, ohne jemals meine Leiche gefunden zu haben. Aber das ist nicht mein Problem.
    Mein dramatischer Tod hat viel Gutes bewirkt. Svenja trinkt seitdem nur noch ganz selten Alkohol, und Fabian ist geradezu über sich selbst hinausgewachsen. Schließlich musste er das, was die Ameisen von mir übrig gelassen hatten, vor der Polizei in Sicherheit bringen. Diese Aufgabe meisterte er bravourös – noch dazu im Dienste der Wissenschaft: In jeden meiner Knochen bohrte er zwei kleine Löcher und setzte mit Draht alles wieder schön zusammen. Die vier kaputten Rippen ließen sich problemlos kleben. Dann baute er noch ein Gestell für mich. Eine Metallklammer umschließt seitdem meine Halswirbelsäule, damit bin ich gut zu transportieren. Als alles fertig war, nahm Fabian mich mit in die Schule und stellte mich unserer Direktorin vor. Wie zu erwarten war, erkannte sie mich nicht. Fabian hat ihr erzählt, er habe mich in Paris in einem Trödelladen gefunden. Weil er neben Biologie auch Französisch unterrichtet und deswegen oft nach Frankreich fährt, hat sie keine weiteren Fragen nach meiner Herkunft gestellt.
    Mit meiner neuen Aufgabe als drittes menschliches Skelett der biologischen Sammlung am St. Matthias-Gymnasium in Gerolstein bin ich sehr zufrieden.
    Die Schüler schätzen mich. Mit einer Flasche Cidre haben sie mich auf den Namen
Jean-Paul
getauft und mir eine Baskenmütze aufgesetzt. Manchmal klemmen sie ihre Baguette-Brötchen zwischen meine Kiefer, natürlich nur so zum Spaß und außerhalb des Unterrichts.
    Auch mit Herrn Pfeiffer und Edeltraut, meinen beiden Knochen-Kollegen, verstehe ich mich prima. Nach Schulschluss diskutieren wir oft über Feuerbach und Sartre und andere Philosophen, die nicht so richtig an die Unsterblichkeit der Seele geglaubt haben. Besonders Edeltraut steuert dazu höchst interessante Gedanken bei. Überhaupt fühle ich mich sehr wohl
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