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Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman

Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman

Titel: Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach
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einem Hirntrauma, das ihn sein Erinnerungsvermögen kosten kann. Ich fragte sie, um wieviel Uhr der Unfall geschehen sei, und es stellte sich heraus, dass der Krankenwagen gegen 8.30 Uhr vor Ort war. Also muss es etwa zehn Minuten zuvor zu dem Unfall gekommen sein. Amedeo ist also nicht der Mörder; der Gerichtsmediziner sagte, das Verbrechen sei nach 13 Uhr begangen worden. Außerdem bestätigen die Augenzeugen, dass sie Manfredini an jenem Morgen zwischen 9 und 12 Uhr gesehen haben. So gibt es also nicht den allergeringsten Zweifel: Ahmed Salmi, genannt Amedeo, ist unschuldig.
    Daraufhin haben wir unsere Ermittlungsergebnisse noch einmal überprüft, ließen das Thema »Wer ist Amedeo?« mal beiseite und widmeten uns stattdessen der Frage, wer der Gladiatore war und wie er lebte. Innerhalb kürzester Zeit konnten wir wertvolle Informationen über Lorenzo Manfredini sammeln. Wir fanden beispielsweise heraus, dass er bei allen Hausbewohnern verhasst war. Nachts kam er betrunken nach Hause, pisste in den Aufzug, stritt häufig mit Sandro Dandini und Antonio Marini. Außerdem hat er mehr als einmal die Haushaltshilfe Maria Cristina vergewaltigt. Die Frau wagte nicht, ihn anzuzeigen, aus Furcht, ausgewiesen zu werden, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung hat. Sie bat Amedeo um Hilfe und der zögerte keine Sekunde, Manfredini zur Rede zu stellen und ihm zu drohen. Das also war der Grund für den Streit zwischen Amedeo und Manfredini am Abend vor dem Mord. Wer ist nun der Mörder von Lorenzo Manfredini? Er hat keine Spuren am Tatort hinterlassen, deshalb gingen wir davon aus, dass da ein Profi am Werk war. Und zweifelsohne half uns der Spitzname Il Gladiatore sehr dabei, auf den Namen des Schuldigen zu kommen.
    Wir stellten einige Ermittlungen an, um herauszufinden, wo dieser Spitzname herkommt und was dahinter steckt. Lorenzo wettete auf Hunde. Dafür organisierte er illegale Hundekämpfe, bei denen immer einer der Kombattanten zu Tode kam. Zu Zeiten der alten Römer war ein Gladiator ein Gefangener oder ein Sklave, der vor Tausenden Zuschauern im Kolosseum gegen ein wildes Tier, einen Löwen oder einen Tiger, zu kämpfen hatte. Lorenzo und seine Kumpanen erfanden ein neues Spiel mit dem Tod. Erinnern Sie sich an das Verschwinden des Hündchens Valentino ein paar Wochen vor dem Mord? Dafür war Lorenzo verantwortlich. Durch intensives Nachforschen gelang es Elisabetta Fabiani herauszufinden, wer ihren Valentino entführt hat. Als sie Gewissheit darüber erlangte, auf welch grauenhafte Weise der kleine Hund gequält worden war, ehe er starb, beschloss sie, sich fürchterlich zu rächen.
    Sie entwarf einen sehr gut durchdachten Plan und machte sich dabei Methoden der Krimiserien zunutze, die sie sich täglich im Fernsehen ansah. Sie wählte den Aufzug, weil er sich im Zentrum aller Streitigkeiten unter den Hausbewohnern befand. Um den Verdacht von sich abzulenken, benutzte sie ein Messer, das ja als typisch männliche Waffe gilt. Dann begann sie, mit bloßen Füßen auf der Piazza Vittorio umherzugehen, um allen zu demonstrieren, dass sie ob ihrer Verzweiflung über die Entführung ihres Hundes verrückt geworden sei. Es gelang ihr, den Plan wirklich meisterhaft umzusetzen, ohne irgendwelche offensichtlichen Spuren zu hinterlassen. Der einzige Fehler, den sie beging, war, dass sie sich nicht des Messers entledigte, sondern es hütete wie eine echte Trophäe. Die Frau wollte sich etwas bewahren, das sie daran erinnert, dass Valentinos Mörder die verdiente Strafe erhalten hat. Vielleicht aber war sie sich auch sicher, das perfekte Verbrechen begangen zu haben, dessen sie niemand jemals verdächtigen würde. Jetzt ist der Fall abgeschlossen. Elisabetta Fabiani hat Lorenzo Manfredini, genannt Il Gladiatore, getötet.

Letzter Wolfsgesang oder Bevor der Hahn kräht
    Montag, 25. November, 22.36 Uhr
    Die Wahrheit ist eine bittere Medizin. Man muss sie in kleinen Dosen zu sich nehmen und nicht auf einmal, weil sie auch töten kann. Es ist nicht wahr, dass die Wahrheit verletzt, dass »la vérité blesse«, wie die Franzosen sagen. Wahrheit verletzt nicht. Sie tötet. Wohingegen der Wolfsgesang Orpheus’ ewiges Lied ist. Auuuuuuuuuuuu …
    Samstag, 7 . Dezember, 22 . 55 Uhr
    Heute Morgen habe ich eine Gedichtzeile von René Char gelesen: »Sind wir dazu verurteilt, am Ursprung der Wahrheit einsam zu sein?« Ich sagte mir, dass man das Wort Wahrheit immer mit einem Fragezeichen oder einem Ausrufezeichen oder Anführungszeichen
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