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kommt wie gerufen

kommt wie gerufen

Titel: kommt wie gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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er nochmals und trifft Sie«, machte Farrell ihn aufmerksam.
    »Möglich«, antwortete der Dschinn wohlwollend. »Aber wir kommen jetzt rascher voran, merken Sie? Setzen Sie sich nicht auf, aber der Fluß hat sich seit zehn Minuten verbreitert, und das Ufer ist flacher geworden. Zur Zeit fahren wir an Reisfeldern vorbei. Auch die Luft hat einen ganz anderen Geruch – spüren Sie es?«
    Farrell und Mrs. Pollifax schnupperten. »Salz«, sagte Farrell unsicher. »Salz? Oder irre ich mich?«
    »Sie haben schon recht.«
    Wieder ertönte ein Schuß, und etwas prallte an die Bootswand.
    »Hoffentlich oberhalb der Wasserlinie«, sagte Farrell. »Verdammt guter Schütze bei dem schwachen Licht.«
    »Jetzt läuft er davon«, bemerkte der Dschinn gleichmütig.
    »Bestimmt ist ihm eingefallen, daß er einen Mann im Boot nicht aufhalten kann, der nicht freiwillig anhält. Entweder holt er sich jetzt selbst ein Boot, oder er wird mit Leuten am Ufer telefonieren, die uns aufhalten.«
    »Darf ich mich jetzt aufsetzen?« fragte Mrs. Pollifax.
    »Ja, er ist fort.«
    Sie richtete sich auf und sah sich um. Die Dunkelheit lichtete sich und enthüllte eine sehr reizvolle Landschaft, die sich flach bis an den Horizont erstreckte. »Aber das sind ja Möwen!« rief sie plötzlich aus.
    »Wir müssen wissen, was wir tun wollen«, sagte Farrell mit beinahe verzweifelter Stimme. »Wir handeln doch nur aus dem Stegreif.«
    »Jugoslawien legt im Norden«, erinnerte ihn Mrs. Pollifax. »Das wissen wir zumindest.«
    »Aber wir besitzen nicht einmal eine trockene Waffe.«
    »Doch«, widersprach der Dschinn. Die beiden starrten ihn verblüfft an. »Sie vergessen den Posten Stefan, dem ich die Pistole abgenommen habe. Sie ist wasserdicht. Ziehen Sie sie aus meiner Tasche und sehen Sie nach. Vielleicht haben wir sogar genügend Zeit, die anderen zu reinigen. Können Sie das?«
    »Nein, verdammt noch mal«, sagte Farrell. »Sie?«
    Der Dschinn schüttelte den Kopf. »Leider nein. Haben Sie die Pistole?«
    Farrell hielt sie in der Hand und öffnete sie. »Fünf Kugeln.«
    Der Dschinn nickte. »Und Sie?« fragte er Mrs. Pollifax.
    Sie leerte die vielen Taschen ihrer Unterröcke, dabei kam das Kartenspiel zum Vorschein, und Farrell lief aus: »Nur keine Spielkarten mehr! O Gott, Herzogin, ich werde in meinem ganzen Leben nie wieder Spielkarten sehen können, ohne an Sie zu denken.«
    »Das ist auch eine Form von Unsterblichkeit«, gab sie zurück, zog die Pistole, das Magazin, die getrockneten Reste der Landkarte und den Kompaß hervor. »Das ist alles, was ich besitze«, sagte sie.
    »Nichts zu essen. Aber eigentlich fühle ich mich nicht mehr schwach, im Gegenteil, es ist eher wie ein letztes Aufflackern.«
    »Es wird heller«, bemerkte Farrell.
    »Zu hell«, antwortete der Dschinn.
    Mrs. Pollifax richtete sich wieder auf und sagte zum Dschinn: »Sie sind die ganze Nacht gestanden, soll ich jetzt übernehmen? Die Strömung ist so kräftig, daß man eigentlich gar nicht zu rudern braucht, oder?«
    »Aber steuern muß man«, versetzte er trocken. »Außerdem glaube ich, daß wir so dicht am Meer sind, daß wir sogar zu Fuß hingehen könnten, falls der Flußlauf sich ändern sollte.«
    Nachdenklich sagte Farrell: »Falls mittlerweile bekannt geworden ist, daß ein Boot unterwegs ist, wird uns vielleicht ein Polizeiboot erwarten, und es wäre vernünftiger, wir gingen zu Fuß.«
    Der Dschinn zuckte die Achseln. »Möglich.«
    »Nein, Farrell«, widersprach Mrs. Pollifax sanft. »Mit Ihrem Bein – «
    »Dann lassen Sie mich die Flucht im Boot riskieren, und Sie gehen!« sagte er, und Mrs. Pollifax hörte aus seiner unterdrückten Wut, daß sein Stolz schwer verletzt war. Andererseits hatte ihre Hilfstätigkeit in Spitälern ihr den Blick geschärft, wann ein Patient am Rande des Zusammenbruchs war, und Farrells Nerven hatten diesen Punkt erreicht, überschritten und sich wieder erholt. Er besaß mehr Widerstandskraft als die meisten Menschen, aber selbst ein Herkules mußte zugeben, daß die letzten sechsunddreißig Stunden aufreibend gewesen waren.
    Plötzlich hob sich der Bodennebel vor ihnen, und die Sonne bestrahlte das klare, glitzernde Wasser der Adria. Beinahe im selben Moment schrie Farrell auf: »O Gott – seht doch!« und Mrs. Pollifax blickte zum rechten Flußufer und sah, daß von dort ein Polizeiboot abstieß, um ihnen den Weg abzuschneiden.

 
    22
    In dem Boot waren zwei Männer, deren Gesichter man auf diese Entfernung nicht erkennen

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