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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee
Autoren: Roger Aeschbacher
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Linie 8. Sie schien zierlich und zerbrechlich. Die Frau sah ihn ebenso freundlich an, wie kurz zuvor in der Tram. Auf den Lippen hatte sie ein warmherziges Lächeln.
    Andi strich sich mit der Zunge über die Oberlippe und leckte cremige Milchschokolade. Seine Fingerkuppen fuhren leicht durch das Fell seines Teddybären. Der Mohair küsste seine Fingerspitzen.

    Steiff-Original.

    Andi und die Frau sahen sich unendlich lange in die Augen. Dann lächelte die Frau und fuhr sich mit der schönsten Hand, die Baumer je gesehen hatte – eine zartgliedrige Puppenhand aus Elfenbein – durch ihre schulterlangen Haare. Zugleich warf sie den Kopf leicht nach hinten und setzte sich fließend in Bewegung. Sein ganzer Körper wusste, dass sie nur zu ihm kommen würde.
    Dann sah er plötzlich seine Lieblingsgroßmutter aus Zeglingen auf dem Sofa sitzen. Ihr hellblaues Sommerkleid zierten unzählige Margeritenblüten. Sie lächelte ihn an und öffnete ihre Handtasche, die sie auf ihrem Schoß hielt. Sie nickte Andi mit großen bejahenden Augen zu, winkte zart mit dem Zeigefinger und sagte »Komm, Andi! Komm! Greif nur hinein ... Mmmhh!«
    Dann sah er wieder die Frau aus der 8er. Sie kam ins ilcaffè und stellte sich eng neben ihn. Sie tat dies mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit. Die Frau. Diese Frau.

    Maja.

    Andi war genau 1 Meter 82 groß und das Fensterbrett an der Front reichte ihm exakt bis zum Solarplexus. Maja war im echten Leben kleiner als Andi. Im Traum schien sie noch jünger, kleiner, herziger. Ihr ging das Brett nur bis zu den Schultern. Maja hob ihre Unterarme und legte sie parallel zur Fensterscheibe auf das Eichenholz. Ihre Hände schlug sie flach übereinander. Das Kinn stützte sie auf die sorgsam gestapelten Hände. Dafür musste sie auf den Zehenspitzen stehen. Die kleine Französin mit dem schulterlangen schwarzen Haar sah vergnügt und mit den leuchtenden Augen eines Erstklässlers am ersten Schultag durch die Scheibe hinaus.
    Baumer spürte sich im Traum, wie er neben der Frau stand. Sein linker Ellenbogen war nur drei Zentimeter von ihrem rechten entfernt. Dazwischen floss ein Energiebogen von zehn Milliarden Volt. Eine brodelnde Welle aus Wärme strömte in seinen ganzen Körper und überflutete ihn wie einst das pulsierende warme Meer am flachen Strand in Kos.
    Zusammen standen sie da und schauten, ohne dass einer ein Wort sprach, auf das erwachende Basel.

    *
    Heinzmann hatte seinen Freund schlafend vorgefunden, als er mit den Einkäufen aus dem Tankstellenshop zum Auto zurückkam. »Schläfst du?«, hatte Heinzmann so leise wie möglich gefragt. Als Antwort hatte er nur die rasselnden Geräusche einer gepressten Atmung gehört. Als er den Wagen startete, hatte Andi Baumer kurz im Sitz geruckelt, ohne aber seinen Kopf zu seinem Freund zu drehen. Also hatte Heinzmann ihn zu seiner Wohnung in der Hochstraße gefahren, ohne ihn aufzuwecken.
    Dort angekommen, ging Heinzmann in die Küche und legte seinem Freund vier Früchtejoghurts, rezenten Emmentalerkäse, ein paar eingeschweißte Sandwichs, sowie drei Fläschchen mit Eistee in den Kühlschrank. Das war der gesamte Einkauf an der Tankstelle. Für sich hatte Heinzmann nichts eingekauft. Seine eigene Verpflegung geschah jeden Tag dort, wo es möglich war. Unterwegs. Zwischen zwei Einsätzen, manchmal während dieser.
    Das alte Zeugs, das noch im Kühlschrank war, packte der Wachtmeister in den Mülleimer. Er öffnete auch das Gemüsefach, fand darin eine verschimmelte alte Gurke, die zu triefen begann, als er sie aufhob. Also rollte er das stinkende Ding in Plastikfolie ein und schmiss es weg.
    Andi Baumer hatte seit dem Zwischenstopp an der Tankstelle kein Wort mehr gesagt. Auch nicht, als Heinzmann seinen Freund geweckt hatte und sie in die Wohnung hinaufgestiegen waren. Der Wachtmeister hatte gespürt, dass der Kommissar bereits in schwere Gedanken versunken war, vielleicht bereits Fährte aufgenommen hatte. Also hatte er ihn auch nicht mehr angesprochen, sondern war ihm wortlos in die Wohnung gefolgt. Dort hatte sich Baumer gedankenverloren seine Jacke ausgezogen und sich an den Bistrotisch gesetzt. Dieses Tischchen stand nahe bei der Balkontür, die auf seinen Mikrobalkon führte. Im Sommer würde Baumer den Bistrotisch auf den Balkon stellen und dort den Zügen zuschauen, wie sie einfuhren. Wie sie hielten. Wie sie warteten. Wie sie abfuhren.
    Heinzmann kam von der Küche in Andis Wohnzimmer zurück. Baumer, inzwischen wieder eingenickt,
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