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Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich

Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich

Titel: Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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wie das Mütterchen.
    Sie hat nicht gesagt, dass sie nicht mit ihm ins Café Puschkin geht, und nichts davon, dass sie ihn loswerden will. Das ist doch schon mal ein Anfang.
    Der Posten kommt nicht einmal aus dem Häuschen, die Schranke ist geöffnet, und Luba fährt durch, hebt die linke Hand zum Gruß, wie damals, bei der Parade am 1. Mai 1986, als die Bevölkerung immer noch keine Ahnung davon hatte, was wirklich passiert war.
    Luba, denkt Wiktor. Sie kennen sie hier alle. Er wundert sich, dass sie sich erst heute begegnet sind.

Kiew, 1. Mai 2010
    Die Zarenzeit, den Ersten Weltkrieg, die Oktoberrevolution, die zum ersten Mal für die leibeigenen Bauern Freiheit und Bildung brachte, den Stalin-Terror, in dem sie zu Millionen geopfert wurden, den Großen Vaterländischen Krieg, Chruschtschow, Breschnew, Andropow, Tschernenko, Gorbatschow, ja sogar das Ende der Sowjetunion und die orangene Revolution hat das Café Puschkin unversehrt und fast unverändert überstanden. Die Kristalllüster, die holzvertäfelten Wände mit den Laub-Intarsien, alles ist intakt, genau wie vor hundert Jahren. Eine Attraktion Kiews, ebenso wie der fünf Meter lange Hausen, der manchmal im Dnjepr schwimmen soll.
    Wiktor hat noch nie einen von diesen großen Fischen gesehen, aber das Café Puschkin, das kennt er gut, aus Nächten, in denen er gegen seinen Freund Miro Schach spielte. Miro, Miro, alles machten sie zusammen: die Offiziersausbildung, die ersten Frauengeschichten, die Pilotenausbildung und die Liquidation, und immer spielten sie Schach, wenn Zeit dafür war, am liebsten im Café Puschkin. Miro ist tot. An der Strahlenkrankheit gestorben, aber offiziell ist er einfach gestorben, wie immer schon Menschen gestorben sind.
    Luba parkt ihre Maschine direkt vor dem Café. Drinnen zieht sie ihren Motorradanzug aus, und Wiktor sieht, wie attraktiv diese junge Frau ist. Doch er will nicht sentimental werden, nur ihr Geheimnis ergründen.
    »Spielst du Schach?«, fragt er, als sie sich an eines der Tischchen setzen.
    »Ja, aber nicht jetzt. Außerdem hättest du keine Chance gegen mich.«
    Lubas Erinnerungen an das Café sind drei Jahre alt, genauer gesagt werden ihre ganz persönlichen Erinnerungen an das Café Puschkin diesen Herbst drei Jahre alt.
    Sie lernte ihn in der Metrostation an der Dnjepr-Brücke kennen. Ilya sprang aus der noch nicht ganz zum Stehen gekommenen fahrenden Metro auf Lubas Füße.
    Sie schrie: »Idiot!«, weil ihre Brille zerbrach, als sie auf den Bahnsteig fiel.
    Ilya war erschrocken, aber er benahm sich anders als jeder Mann, den sie davor getroffen hatte. Er kniete sich nieder und betastete ihre Zehen. Er sagte nichts, berührte sie mit sanften Händen, bei denen sie spürte, dass sie erfühlen, was andere nur mit einem Röntgengerät erkennen können.
    »Gott sei Dank, nichts Schlimmes«, sagte er. »Es tut mir leid, normalerweise bin ich kein solcher Tollpatsch.« Als er wieder aufstand, hatte er die zerbrochene Brille in der Hand und sagte nicht: »Die hätte sowieso nicht mehr lange gehalten«, was zweifellos nicht aus der Luft gegriffen gewesen wäre. Er sagte: »Komm, oben ist ein Optiker.« Er fragte Luba nicht, wohin sie gerade wollte, ob sie einen Termin hatte, er nahm ihre Hand, und sie trabte hinter ihm her. So bekam sie eine schöne neue Brille, einige blaue Flecken an den Zehen, und das Wichtigste: So lernte sie Ilya kennen.
    Natürlich war Ilya verheiratet, aber er war so zärtlich, so liebevoll zu ihr. Sie war nicht eifersüchtig, wenn er von seiner Frau erzählte. Manchmal hatte sie sogar das Gefühl, als würde sie seine Frau selbst kennen. Nicht so wie er, natürlich nicht. So wie eine Freundin oder eine Schwester. Irgendwie kam es Luba so vor, als gehörten sie beide zu einer Familie, zu der eben auch Ilya und seine Tochter gehörten. Mit einem anderen Mann hätte Luba sich nie auf eine solche Ménage à trois eingelassen. Und bevor sie Ilya kennenlernte, hatte sie auch nie von einem Mann geträumt, der zwanzig Jahre älter war als sie selbst. Fast so alt wie ihr Vater. Was hätte er sie ausgelacht, wenn sie ihm davon erzählt hätte.
    »Lubotschka, nimm dir doch einen jungen, saftigen Kerl«, hätte er zu ihr gesagt. »Was willst du mit so einem alten Knacker? Mit deinem Vater möchtest du doch auch nicht ins Bett gehen, stimmt’s?« Sie hat es ihm nie erzählt. Und auch sonst niemandem. Es war ihr Geheimnis. Er war ihr Geheimnis. Und sie war so glücklich mit ihm wie mit keinem Mann davor
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