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Komm her, Kleiner

Komm her, Kleiner

Titel: Komm her, Kleiner
Autoren: Lola Lindberg
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Augenblick, die Spannung? Nicht, dass sie die Sachen, die sie in ihrer großen Tasche verschwinden lässt, wirklich braucht. Ein Dessous aus kratziger Kunstseide, ein Buch, das sie schon gelesen hat, eine Fusselrolle … Nun gut, die kann sie wirklich brauchen. Wahrscheinlich wird sie sie behalten. Den Rest bekommen andere; Leute auf der Straße, denen Katharina die ungeahnten Geschenke heimlich in die Einkaufstasche schmuggelt und sich dann vorstellt, wie die Ahnungslosen sich daheim über das unerwartete Geschenk wundern und freuen. Gestern hat sie einen Kaschmirschal an eine alte Frau verschenkt, die frierend an einer Ecke saß und die Obdachlosenzeitung der Stadt anbot.
    Katharina Hood, Heldin der Enterbten.
    Auch nicht schlecht. Kick! Für den Augenblick.
     
    „… ist wirklich noch nie vorgekommen“, schrillt eine Stimme an Katharinas Ohr. Sie schaut sich um. Oh! Wenige Schritte hinter ihr steht eine auftoupierte Frau, das Gesicht hektisch geflammt, neben einem ebenfalls rothäutigen Kind. Schuldbewusste Tränen trocknen auf seinen Wangen. Und daneben – er. Katharina spürt, wie der Vogel wieder seine Flügel schlägt.
    „Es tut mir so furchtbar leid! Das muss die Zeit sein, Weihnachten, verstehen Sie? Mein Sohn macht so was sonst wirklich nicht.“ Die Mutter sieht ihr Gegenüber an, als müsse er ihr Absolution erteilen. Er lächelt nur. Sagt etwas, was Katharina – verdammte Weichspülermusik, verdammte Lautsprecher – nicht hören kann. Dann geht er. Mutter und Kind bleiben zurück, geben aber kein Bild vorweihnachtlicher Freude ab. Katharina schaut sich den Jungen an. Acht Jahre mag er alt sein. Was er wohl mitnehmen wollte? Ein Spiel, ein Buch? Ein Paar Ohrringe für die ältere Schwester?
    Katharina legt ein paar Euro auf die Bar, lächelt dem Mann dahinter kurz zu und gleitet vom Barhocker.
     
    Wie war sein Name? Strecker? Ja, das hatte er gesagt, als er sich das Girlie schnappte. Strecker. Katharina lässt sich den Namen durch den Kopf gehen. Nicht schön. Aber auch nicht schlecht. Klingt dynamisch.
    Wo ist er? Katharina sieht sich vorsichtig um.
    Da. Ein paar Regalmeter weiter sieht sie ihn auf die Rolltreppe zuschlendern. Schnell! Ohne nachzudenken, bahnt sich Katharina ihren Weg durch die dichtgefüllten Gänge. Ein Wunder, dass ich ihn überhaupt entdeckt habe, so voll, wie das hier ist.
    Irgendwie schafft Katharina es, hinter ihn zu gelangen. Strecker ist ein Stück größer als sie. Ziemlich jung, vielleicht ein Student, der sich in der Vorweihnachtszeit etwas dazuverdient? Breite Schultern unter der dünnen Lederjacke. Eigentlich verräterisch – draußen ist es kalt, und niemand außer ihm trägt hier etwas, das nicht auch für eine Polarexpedition geeignet wäre. Fünf oder sechs Stufen trennen Katharina von Strecker. Langsam hebt die Rolltreppe ihn vor ihren Augen in die Höhe. Unter der Lederjacke fällt ihr Blick nun auf seinen Po.
    Wow.
    Katharina schluckt.
    Wenn er studiert, dann Sport. Die Hose, blau und abgewetzt und hauteng, schmiegt sich wie eine zweite Haut um zwei perfekt geformte Backen. Was für eine Unterhose muss man tragen, damit eine Jeans so perfekt sitzt? Einen String? Wohl kaum. Katharina zieht unwillkürlich eine Augenbraue in die Höhe.
    Lange Beine. Schlank, wie es scheint. Schwarze Biker-Stiefel, aber mehr modern als prollig und gerade so blank, dass sie gepflegt scheinen, ohne frisch geputzt zu sein. Noch ein Hinweis: Mit solchen Schuhen kann man heute noch nicht in der schneematschigen Fußgängerzone unterwegs gewesen sein. Katharina lächelt. Hätte ich gleich drauf kommen können. Ist doch sehr offensichtlich, Herr Strecker. Sie bekommt Oberwasser. Jetzt bin ich die Jägerin. Das gefällt ihr.
     
    Katharina schlendert hinter ihm her, immer wieder an einem Verkaufsstand stehen bleibend. Zum Glück gibt es in diesem Kaufhaus viele Spiegel und gläserne Flächen, in denen sie ihn beobachten kann, während sie scheinbar etwas anderes ansieht. Das hat sie schon von ihm gelernt. Er macht das auch so. Aber das Glück scheint ihn verlassen zu haben: kein neues Opfer in Sicht.
    Seit fast einer Stunde folgt Katharina ihm nun schon. Hin und wieder verändert sie sich, damit Strecker nicht merkt, dass er verfolgt wird: Sie stellt den Kragen hoch, setzt ihre Brille auf. Lässt den Mantel von den Schultern rutschen und in ihrer Tasche verschwinden. Öffnet den Knoten und lässt ihr Haar locker auf den Rücken fallen. Zieht den Mantel wieder an, bindet sich einen
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