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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe
Autoren: Elke Heidenreich
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benötigte Farbe vorsichtig herausziehen konnte. Die Zwillingsschwestern hatten einen Hund mit hellgrauen Augen, und sie sagte in Gedanken zu Richard:
    «Schau mal, der Hund hat helle Augen.»
    Der Mann an dem Stand mit Jeans, Jeansröcken, Jeansjacken nickte ihr freundlich zu, sie hatte eine Jacke für Richard bei ihm gekauft, mit weißem Lammpelz gefüttert, und er hatte ihr erzählt, daß er mal in Deutschland war, Baden-Baden, molto bello, sehr schön. Die Sonne schien auf den See und ließ ihn aussehen wie eine glänzende Metallplatte. Nur da, wo ein paar Enten schwammen, bewegte sich das Wasser leicht, sonst war es ganz ruhig, als hielte der See den Atem an. Die Luft flimmerte und die Sonne schien warm und am Himmel stand geschrieben: Vorbei!
    Vorbei.
    Nach den Ständen mit Bettwäsche, Kopfkissen, Tagesdecken, mit Telefonen aus Onyx, Kamingittern, Glasketten sah sie endlich die herrlichen Obst- und Gemüsestände. Bei den Telefonen aus Onyx saß eine Frau und ließ sich die Sonne auf die Krampfadern scheinen. Sobald sich jemand näherte, der wie ein Tourist aussah, sprang sie auf, rief, man könne über alle Preise noch reden und sie habe auch Regenschirme im Angebot, ganz besonders billig.
    Lisa winkte ab und ging weiter, die Frau setzte sich wieder auf die Bank und murmelte Verwünschungen hinter ihr her.
    Lisa kaufte Birnen, Weintrauben, ein paar Äpfel und einen roten Salat. Sie suchte langsam aus, redete ein bißchen mit den Händlern über Preise und Qualität, wie um zu üben, ob man sie noch verstünde, ob sie noch sprechen könne. «Sind die süß?»
    fragte sie bei den Äpfeln, und der große schöne Bauernsohn breitete die Arme aus wie Jesus am Kreuz und rief theatralisch:
    «Ma, signorina, non ci siamo dentro, wir stecken nicht drin!» und zwinkerte ihr zu. Sie lachte und packte die Äpfel in ihre Tasche. Er schenkte ihr eine Feige und machte eine Verbeugung, die linke Hand auf dem Herzen, ehe er sich genauso galant der nächsten Kundin, einem schrumpeligen Mütterchen, zuwandte.
    Dienstag war der einzige Tag, an dem Lisa auswärts aß. Sie ging früh genug zu Plinio und suchte sich einen Ecktisch mit Blick auf den See, und für eine Stunde trug sie das Leben wie auf etwas dickerem Eis, ohne daß sie Angst hatte, vor ihr würde sich ein Abgrund auftun und sie könnte schon den nächsten Schritt nicht mehr ohne Lebensgefahr machen. Hier vergaß sie die Geräusche, auf die sie immer wartete und die ihr im Kopf klopften - das Fallen eines Briefes in den Kasten, das Kratzen eines Schlüssels im Türschloß, das Klingeln des Telefons. Hier war draußen der stille, glänzende See, drinnen die summende Geschäftigkeit einer Marktkneipe am Mittag. Die Tür zur Welt war auf diesem Eckplatz am Fenster gleichzeitig offen und zu - Lisa sah vor sich ein stilles Land, das sie anzog, in das sie eintauchen und für immer sanft verschwinden könnte, und hinter ihrem Rücken ging das Leben weiter, laut und fröhlich, und wer nicht die kleinen Wellen gesehen hätte, ehe der See wieder still dalag, würde ihr Verschwinden gar nicht bemerken. Lisa riß sich los von ihren Träumen, sich einfach aufzulösen, zu verschwinden, und bestellte bei Plinio ein Essen.
    Plinio war groß, schlank, trug eine schneeweiße Schürze und tänzelte wie ein eleganter Kater zwischen den Tischen hindurch.
    Es gab keine Speisekarte, Plinio sagte auf, was man essen konnte, und er schloß die Augen, spitzte die Lippen und versicherte, alles sei fatto in casa und wunderbar und die Signora solle sich nur ganz und gar auf ihn verlassen bei den eingelegten Bohnen.
    Sie verließ sich immer auf ihn, und es waren jedesmal herrliche Mahlzeiten, wenn sie auch nur wenig aß und zu Plinios Entsetzen meist Wasser statt Wein dazu trank - Wein, allein getrunken, machte sie traurig. Richard, warum hebst du nicht das Glas und prostest mir zu und rettest mich vor der Stille in mir? Sie nahm sich vor, nicht mehr so auf ihn zu warten, selbst wieder etwas zu tun, morgen abzureisen, endlich Musil fertig zu lesen, sich aus dieser Lethargie zu befreien, aber sie fühlte sich so müde, so kraftlos.
    Wäre es besser, wenn sie ein Kind hätte? Er hatte nie Kinder gewollt, sie war zu lange unentschlossen gewesen. Es fehlte ihr auch jetzt nicht, aber vielleicht wäre ein Kind jemand gewesen, der auf sie gewartet hätte - so war es immer nur sie, die wartete.
    Worauf wartete sie, außer auf Richard?
    Wenn du mich liebst, wird alles gut... Wenn sie als Kind Fieber hatte,
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