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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps
Autoren: Jared Diamond
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größere Weltbevölkerung. Vielleicht können wir dennoch aus der Vergangenheit etwas lernen, aber dazu müssen wir über diese Schlussfolgerungen sehr genau nachdenken.
    Bei allen Bemühungen, Zusammenbrüche früherer Zeiten zu verstehen, muss man sich mit einer großen Kontroverse und vier Komplikationen auseinander setzen. Die Kontroverse erwächst aus der Ablehnung der Idee, frühere Völker (von denen manche die Vorfahren heute lebender, beredter Gruppen sind) könnten etwas getan haben, das zu ihrem eigenen Untergang beitrug. Wir sind uns heute der Umweltschäden viel stärker bewusst als noch vor wenigen Jahrzehnten. Selbst Schilder in Hotelzimmern berufen sich mittlerweile auf die Umwelt und vermitteln uns ein schlechtes Gewissen, wenn wir frische Handtücher wünschen oder das Wasser laufen lassen. Die Umwelt zu schädigen gilt heute moralisch als wesentlich sträflicher.
    Erwartungsgemäß haben die Ureinwohner Hawaiis und die Maori nicht gerade viel für Paläontologen übrig, die ihnen erzählen, ihre Vorfahren hätten die Hälfte aller Vogelarten ausgerottet, deren Evolution in Hawaii oder Neuseeland stattgefunden hat. Und ebenso wenig Sympathie hegen die amerikanischen Ureinwohner für Archäologen, die ihnen sagen, dass die Anasazi im Südwesten der USA weite Flächen abgeholzt haben. Die angeblichen Entdeckungen der Paläontologen und Archäologen hören sich in manchen Ohren einfach nach einer weiteren Spielart rassistischer Äußerungen an, mit denen die Weißen indigene Völker enteignen wollen. Es ist, als wollten die Wissenschaftler sagen: »Eure Vorfahren haben das Land schlecht verwaltet, und deshalb geschieht es euch recht, wenn ihr vertrieben werdet.« Einige Weiße in Amerika und Australien, die etwas gegen staatliche Zahlungen und Landrückgabe an amerikanische Ureinwohner und australische Aborigines haben, vertreten heute tatsächlich unter Verweis auf die Entdeckungen eine solche Argumentation. Aber nicht nur die indigenen Völker, sondern auch mehrere Anthropologen und Archäologen, die sich mit ihnen beschäftigen und identifizieren, halten die angeblichen Entdeckungen aus jüngerer Zeit für rassistische Lügen.
    Manche indigenen Völker und die Anthropologen, die sich mit ihnen identifizieren, verfallen ins andere Extrem. Sie behaupten steif und fest, indigene Völker seien früher und heute stets sanfte, ökologisch kluge Verwalter ihrer Umwelt gewesen, hätten die Natur genau gekannt und respektiert, seien unschuldige Bewohner eines Paradieses gewesen und hätten niemals etwas Schlechtes tun können. In Neuguinea sagte mir einmal ein Jäger: »Wenn es mir an einem Tag gelingt, in einer Richtung von unserem Dorf aus eine große Taube zu schießen, warte ich eine Woche, bevor ich wieder auf die Taubenjagd gehe, und dann wandere ich in die andere Richtung.« Nur die bösen Bewohner der Ersten Welt stehen demnach der Natur als Ignoranten gegenüber und zerstören die Umwelt, anstatt sie zu respektieren.
    In dieser Kontroverse begehen die Vertreter beider Extrempositionen - die Rassisten und die Anhänger der Idee vom Garten Eden - den gleichen Fehler: Sie nehmen an, die indigenen Völker der Vergangenheit hätten sich grundlegend von den heutigen Bewohnern der Industrieländer unterschieden und seien ihnen entweder unter- oder überlegen gewesen. Die nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen war immer schwierig, seit sich beim Homo sapiens vor rund 50 000 Jahren Erfindungsreichtum, Effizienz und die Fähigkeit zur Jagd entwickelten. Seit die Menschen vor etwa 46 000 Jahren zum ersten Mal den australischen Kontinent besiedelten - woraufhin dort sehr schnell die meisten Riesenbeuteltiere und andere große Tiere ausstarben -, folgte auf die Besiedelung jener zuvor menschenleeren Landmasse - Australien, Nord- und Südamerika, Madagaskar, die Mittelmeerinseln, Hawaii, Neuseeland und Dutzende anderer Pazifikinseln - immer eine Welle des Aussterbens großer Tiere, die sich dort ungestört entwickelt hatten und nun eine leichte Beute waren oder den vom Menschen verursachten Lebensraumveränderungen, eingeschleppten Schädlingen und Krankheiten zum Opfer fielen. Jede Bevölkerung kann in die Falle tappen und die natürlichen Ressourcen übermäßig ausbeuten; das liegt an den allgegenwärtigen Problemen, die wir im weiteren Verlauf dieses Buches genauer betrachten werden: Die Ressourcen scheinen anfangs unerschöpflich zu sein, erste Anzeichen ihrer Erschöpfung bleiben wegen der
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