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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition)
Autoren: Erica Fischer
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hat sie schon nicht mehr Polnisch gesprochen, und wie gern würde sie jetzt den Kopf an die Schulter ihrer großen Schwester lehnen und sich polnische Koseworte zuflüstern lassen. Die Wärme der Muttersprache fehlt ihr. Auch mit Erich unterhält sie sich in einer Fremdsprache. Manchmal kann sie ihm nicht wirklich sagen, was sie denkt und fühlt, mit ihrem begrenzten Vokabular wird jeder Gedanke vergröbert. Sie ist nie ganz sie selbst. Werden sie irgendwann einmal auch Englisch miteinander sprechen? In Kanada vielleicht? Kaum vorstellbar, dass jemand in Zukunft noch die deutsche Sprache wird hören wollen.
    «Interessant», bemerkt Mrs. Needham höflich, um nach einer Pause auf das Gefängnis zurückzukommen. «War es schlimm dort? Ich habe noch nie jemanden getroffen, der im Gefängnis war.»
    «Die Trennung von Erich war schlimm, natürlich. Aber ich habe dort auch Frauen kennengelernt, denen ich im normalen Leben nie begegnet wäre. Prostituierte zum Beispiel. Sie konnten überhaupt nicht begreifen, wie jemand sich für eine politische Idee einsperren lassen kann. Sie hielten mich für szalona – für … für verrückt. Dass sie selbst ab und zu ins Gefängnis kommen, war für sie normal. Ich wiederum konnte nicht verstehen, wie man mit einem Mann schlafen kann, ohne ihn zu lieben. Eine lesbische Frau wollte mich sogar davon überzeugen, dass die Liebe zu Frauen viel besser ist.»
    «Oh!» Mrs. Needham errötet.
    «Verglichen mit dem, was danach kam – die Nazis –, war die Haft in Wien ein Zuckerschlecken – dieses lustige Wort hat mir Erich beigebracht», beeilt sich Irka, vom Thema Sexualität wegzukommen. «Man musste keine Angst um sein Leben haben. Nachdem Österreich achtunddreißig von Deutschland annektiert wurde, hat sich das mit einem Schlag geändert. Für die Juden begann ein Inferno, jeder, der konnte, hat so schnell wie möglich das Land verlassen. Das war aber nicht leicht, man brauchte ein Visum. Kein einziges Land hat dich ohne Visum aufgenommen. Bei mir hat es mehrere Monate gedauert, bis ich eine Arbeit im Haushalt gefunden habe und nach England einreisen durfte.»
    Es ist das erste Mal, dass Irka mit ihrer Wirtin über ihre Flucht spricht. Man kann ja nie wissen, auch viele Engländer sind Antisemiten.
    «Sind Sie – äh – Jüdin?», stammelt Mrs. Needham.
    «Ja, bin ich. Behauptet zumindest Hitler. Ich bin aber nicht religiös, ich war bloß ein einziges Mal in einer Synagoge. Aber darum geht es den Nazis nicht. Mein Blut ist jüdisch, sagen sie.»
    «Unglaublich. Wissen Sie, ich habe noch nie einen Juden gesehen.»
    «Ich bin doch ganz normal, oder?»
    «So habe ich es nicht gemeint …»
    «Ist schon gut, ich bin nicht empfindlich. Ohne die Nazis hätte ich nie darüber nachgedacht. In meiner Familie fühlten wir uns als Polen. Aber durch Hitler bin ich ein refugee from Nazi oppression geworden. Erich auch, obwohl er kein Jude ist. Ich bin den Engländern dankbar, dass sie uns aufgenommen haben. Nur jetzt …»
    «Jetzt haben sie Ihnen Ihren Mann weggenommen. Sie haben recht, das ist schändlich.»
    «Ja, das ist es. Aber ich habe keine Angst um ihn.»
    Das Gespräch verschafft Irka Erleichterung. Ihre Zuversicht kehrt zurück. Irgendwie wird schon alles gut werden. «Wir sind hier in einem demokratischen Land. Es wird ihm nichts passieren. Die Regierung ist in Panik, das kann man verstehen.»
    «Ich hoffe, Sie haben auch Gutes erlebt in England?»
    «Oh ja, natürlich. Was glauben Sie, wie es jetzt in der Ostmark zugeht – ein Österreich gibt es nicht mehr. Am besten hat uns die kleine Privatschule in Norfolk gefallen, wo wir nach ein paar Monaten untergekommen sind. Dort wären wir gern geblieben. Wir haben als Küchenhilfe und Gärtner gearbeitet. Erich hat sogar gelernt, die drei Pferde der Schule zu – äh, striegeln –, so sagt man doch? Wir wohnten in einem großen Zimmer mit Fenstern von der Decke bis zum Fußboden. Das sind French windows , nicht? So hell war es dort! In der Schule ging es streng demokratisch zu. Stellen Sie sich vor: Das gesamte Personal erhielt einen Einheitslohn, ich als Küchenhilfe verdiente das Gleiche wie ein Lehrer. Und es gab ein Schulplenum, in dem die Lehrer und die etwa zwei Dutzend Schüler gleichberechtigte Diskussionspartner waren. Da mussten sich die Lehrer auch Kritik gefallen lassen. Für uns aus dem autoritären Österreich war das eine unglaubliche Erfahrung. Und alle sprachen sich mit Vornamen an.»
    Mrs. Needham schaut
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