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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition)
Autoren: Erica Fischer
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«unverdaulichen Bevölkerungsanteil», dessen ungeachtet würden Schiffe weiterhin «jede Menge braunäugige Francescas und Marias sowie Ginos, Titos und Marios mit Augenbrauen wie Küchenschaben an Land spülen». Am Mittelmeer braue sich ein Sturm zusammen, und «selbst der friedliche, gesetzestreue Cafébesitzer am Ende der Straße spürt eine Welle patriotischer Raserei, wenn er den Namen Mussolini vernimmt».
    Erich und Irka waren entsetzt, nun auch in England eine Xenophobie zu erleben, wie sie ihr eben erst aus Österreich entronnen waren.
    Nach Mussolinis Kriegserklärung an England und Frankreich am zehnten Juni begann man mit der Festnahme von Italienern, und antiitalienische Ressentiments lösten Angriffe auf italienische Geschäfte und Cafés aus. Der britische Inlandsgeheimdienst stellte Listen angeblich gefährlicher Personen zusammen, die im Morgengrauen von Polizeibeamten abgeholt wurden. Am Ende wurden 4500 Italiener verhaftet und interniert, darunter nicht wenige, die seit Jahrzehnten in England lebten und deren Söhne dort geboren waren und in der britischen Armee dienten. Der Schriftsteller George Orwell klagte, man könne in London keine anständige Mahlzeit mehr bekommen, weil die Chefs des Savoy, des Café Royal, des Piccadilly und vieler anderer Restaurants in Soho und Little Italy eingesperrt worden seien.
    Angefeuert von Churchills Schlachtruf «Collar the lot» – «Schnappt sie euch alle» –, den anfangs niemand so richtig ernst nahm, internierte man ab der zweiten Junihälfte immer mehr harmlose deutsche und österreichische Männer, ohne sich noch die Mühe zu machen, auf den vorübergehenden Charakter der Maßnahme hinzuweisen. Die Öffentlichkeit wurde in dem Glauben gelassen, bei den Festgenommenen handele es sich um Personen, die sich in irgendeiner Weise verdächtig gemacht hätten.
    Das ärgerte Erich am meisten. Er kannte Leute, die in Dachau ihre Gesundheit verloren hatten und nun erneut hinter Stacheldraht gesteckt wurden. Gleichzeitig dachte niemand daran, einen britischen Demagogen wie Sir Oswald Mosley zu internieren, dessen faschistische Schlägertrupps im überwiegend von Juden bewohnten Londoner East End Straßenschlachten provoziert hatten. Erich machte sich keine Illusionen, dass sein untadeliger politischer Hintergrund ihn jetzt noch schützen könnte.
    Sir Anderson hatte eine Standardformel parat, um jede Kritik an der Internierungspraxis zum Schweigen zu bringen: «Ich fürchte, dass ein gewisses Ungemach für die Flüchtlinge nicht von den Bedingungen zu trennen ist, unter denen wir im Augenblick leben.»
    Die Angst vor einer deutschen Invasion hatte weite Kreise der Bevölkerung erfasst. Immer öfter erschallte der Ruf «Interniert sie alle!». Es ging das Gerücht um, die Königliche Familie habe sich nach Kanada abgesetzt, und Kinder, deren Eltern es sich leisten konnten, wurden zu Tausenden evakuiert. Obwohl die Verhandlungen mit Kanada und Australien zur Übernahme von Flüchtlingen geheim waren, sickerte durch, dass die Regierung über eine Verschiffung der «feindlichen Ausländer» nach Übersee nachdachte.

    Erich und Irka sind also auf die Polizisten vor ihrer Tür gefasst. Der gepackte Koffer steht seit Tagen bereit. Sie haben überlegt, wie sie die «unvermeidliche Maßnahme» der Internierung zu ihrem Vorteil nutzen könnten. Sollte man die Männer nach Übersee schicken, so haben sie vereinbart, würde sich Erich freiwillig melden, vorausgesetzt, Irka dürfe ihm bald nachfolgen. In den Dominions, weitab vom Kampfgeschehen, würde sich womöglich eher eine Gelegenheit auf Freilassung ergeben. Nach Jahren der Verfolgung, zuerst durch die Austrofaschisten, dann durch die Nazis, wollen sie nur noch eins: ein gemeinsames Leben in Ruhe und Freiheit.
    Der nahende Abschied fällt ihnen dennoch schwer. Irka schluchzt, zu viele Trennungen hat sie in den letzten Jahren durchlebt. Ihrer schwangeren Schwester ist es gelungen, noch knapp vor Kriegsbeginn mit ihrem Mann von Polen nach Australien auszuwandern. Wenigstens sie ist in Sicherheit. An ihre Eltern und ihren Bruder in Warschau will sie gar nicht denken. In England kennt sie nur wenige, denen sie sich anvertrauen kann, Erich ist ihre wichtigste Stütze. Dass er ihr zwei Monate nach ihrer Flucht aus Wien mit einem Touristenvisum nachreisen konnte und dann auch noch als Flüchtling anerkannt wurde, hat ihr eine Zeitlang die Lebensfreude wiedergegeben. Mit Erich kann sie sogar darüber lachen, dass sie, die
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