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Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)

Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)

Titel: Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Autoren: Nora Berger
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man ihm in seiner letzten Stunde abgenommen hatte. Auf dem Tisch lag ein mehrseitiges Papier mit seinen Schriftzügen, ein Brief, den er wohl in einer Vorahnung geschrieben haben musste. Theo, der freche Lausbub, nie um einen Streich verlegen, stand ratlos, mit gesenktem Kopf daneben, er schluckte und war zum ersten Mal in seinem Leben stumm und sprachlos.
    Magdalena fiel der Mutter um den Hals, doch ihre Augen blieben trocken. Die beiden Frauen hielten sich aneinander fest, als könnten sie dem Unheil, das sie heimgesucht hatte, so die Stirnbieten. Die Frage nach dem Wo und Wie lag ihr auf der Zunge. Doch sie fühlte, dass weder Mutter noch Großmutter jetzt zu einer Antwort imstande sein würden, so wie auch sie unfähig war, Lutz‘ Brief, der in diesem Moment zu seinem Vermächtnis wurde, zu lesen.
    »Er bittet dich …«, nur stockend kamen die Worte der Mutter über die Lippen, »zu Hanna Kreuzberger zu gehen … und ihr das hier zurückzugeben!« Sie deutete mit den Augen auf ein silbernes Amulett in einem Samtetui, das neben dem Brief auf dem Tisch lag. »Es ist sein letzter Wunsch!«
    »An Hanna Kreuzberger?« Eine für diesen Augenblick unangemessene Frage lag im Ton dieser Worte. Als niemand antwortete, nickte Magdalena, nahm das Schmuckstück, richtete sich auf und verließ mit hölzernen Schritten den Salon. Erst als sie in ihrem Zimmer war, verlor sie die Beherrschung, warf sich aufs Bett und brach in verzweifeltes Schluchzen aus. Sie hatte es im Innersten geahnt – Lutz hatte sein Leben bereits aufgegeben, als man ihn ins Feld schickte! Es musste so kommen, früher oder später. Er wollte nicht kämpfen, hatte diesen Krieg gehasst – und vor allem Hitler, den Mann, der ihn begann.
    Sie wischte die Tränen fort, nahm den Rest der Flugblätter aus ihrer Tasche und legte sie wie zuvor sorgfältig in das Versteck hinter den Büchern.
    Immer noch konnte sie nicht begreifen, dass Lutz tot war, er nie mehr zur Tür hereinkommen oder in ein Buch vertieft am Kamin sitzen würde! Genau wie sie hatte er Philosophie studiert – doch was hatte sie ihm genützt? Wusste er da, wo er jetzt war, woraus der Sinn des Lebens bestand?
    All das schien ihr unwirklich und wie ein böser Traum. Es würde ein schwerer Weg werden zu Hanna Kreuzberger – wenn sie ihr das Amulett mit der traurigen Nachricht überbrachte!
    Als Paul wieder zu sich kam, wusste er erst gar nicht, was genau geschehen war. Um ihn herum herrschte Stille, und er wagte kaum, sich unter dem zerrissenen Fallschirm aufzurichten und seinen schmerzenden und halb erfrorenen Körper zu betasten. Es summte in seinen Ohren, als er versuchte, die Orientierung wiederzufinden. Eine Platzwunde an der Stirn schien nur oberflächlich, und trotz diverser Stauchungen und Prellungen konnte er seine Glieder bewegen. Glück gehabt! Nur seine rechte Hand blutete heftig, Mittel und Ringfinger baumelten, zur Hälfte abgetrennt, an schlaffen Hautfetzen an ihr herab und gehorchten ihm nicht mehr. Ein höllischer Schmerz begann langsam die verletzte Hand zu durchziehen, als er anfing, sich zu bewegen. Er konnte nicht hinsehen, ohne dass Übelkeit seinen Magen fast umdrehte. Immerhin war er noch einmal davongekommen, abgestürzt, irgendwie vom Himmel gefallen, aber mit mehr Glück als der Pilot, von seinem intakten Fallschirm aufgefangen.
    Fahle Wolkenfetzen voller Ruß zogen mit gespenstischen Nebelschwaden dahin. Die angreifenden russischen Maschinen waren aufgerieben und wie weggewischt. Nur die schwelenden Trümmerteile lagen verstreut umher, stumme Zeugen des unerbittlichen Luftkampfes. Ein Sieg, aber ein schockierendes Erlebnis mit der grausamen Realität des Luftkampfes, das sich Paul unauslöschlich und für immer ins Gedächtnis prägen sollte. Er biss die Zähne zusammen und umwickelte seine schmerzende Hand so gut es ging mit einem abgerissenen Fetzen seiner Hose. Dann grub er sich mit dem linken Arm mühsam aus der Schneewehe heraus und hielt Ausschau nach dem Lager. In ziemlicher Entfernung sah er dunkle Punkte über die verwüstete Flugbahn laufen. Über eine weite Fläche war das schneeige Niemandsland bis zum Horizont übersät von verkohlten Bruchstücken und dem, was von den zerfetzten Menschenleibern noch übrig war. Paul versuchte, nicht hinzusehen, wenn er an einem der grauen, verkrümmten Schatten, den abgerissenen Körperteilenvorbeistolperte, die reglos in eingesickerten Blutlachen im Schnee lagen. Eine dumpfe Ahnung sagte ihm, dass er wahnsinnig
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