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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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mitzuschreiben, eine Art Wettbewerb mit sich selbst. Dieses Spiel förderte zwar seine Konzentration, brachte ihn aber nachmittags in einige Schwierigkeiten: Nach einer Sitzung von knapp dreieinhalb Stunden hatte er über 70 Seiten handschriftlicher Notizen zu sichten.
    Er fand sein Büro frei von Liane Czibull, nutzte die Gunst des Augenblicks und nahm Beistelltisch und Computer in Besitz.
    Sie kam wenige Minuten nach ihm herein, markierte mit ihrer Handtasche den Schreibtisch als ihr Revier und warf ihm dabei einen Blick zu, als sei er hier der Eindringling.
    „Ich müsste dringend was schreiben, wie lange dauert das bei Ihnen noch?“, fragte sie barsch und fuhr sich mit den Fingernägeln durch ihre borstige Frisur. Ihm fiel auf, dass ihre Nase gar nicht so spitz war. Der Eindruck entstand durch eine Hautauffälligkeit. Er konnte nicht erkennen, ob es ein Pickel war, eine Narbe oder eine Warze.
    „Das kann dauern, ich fange gerade erst an“, sagte er nicht ohne Befriedigung über diesen ersten kleinen Sieg im strittigen Territorium. Gleichzeitig wurmte es ihn, dass er nur den Beistelltisch mit dem Computer belegt und der Czibull damit den Schreibtisch überlassen hatte. Nächstes Mal würde er seine Fotosachen über dem Schreibtisch ausbreiten, seine Jacke über den einen Besucherstuhl hängen und seinen Pullover über den anderen.
    „Vielleicht können Sie mir wenigstens sagen, wie lange es ungefähr noch dauert“, bohrte sie.
    „Och, wissen Sie, bei einer Sitzung von knapp vier Stunden und mindestens 300 Zeilen, die ich zu schreiben habe, kann sich das schon über den Rest des Nachmittags hinziehen. Sie können ja drüben mal schauen, ob ein PC frei ist.“
    Er begann damit, seine Notizen über die freie Hälfte des Schreibtisches auszubreiten.
    Liane Czibull aber dachte gar nicht daran, das Zimmer zu wechseln. Sie setzte sich, kramte eine Zigarette hervor, erstarrte in der Bewegung und kniff den Mund zusammen, als er ein Notizblatt auf ihre Tasche legte. Sie begriff das, wie es von ihm gemeint war: als Grenzverletzung, als Vorstoß auf fremdes Hoheitsgebiet, als Kriegserklärung.
    Sie ließ das Feuerzeug schnippen. Er sah sie durchdringend an.
    „Das hier ist ein Nichtraucherraum. Für Raucher ist das große Büro nebenan.“
    Sie verzog keine Miene, legte Zigarette und Feuerzeug auf den Schreibtisch, öffnete ihre Tasche, schüttelte dabei demonstrativ sein Notizblatt herunter und holte sich ein Päckchen Kaugummis heraus. Er konzentrierte sich auf seine Aufzeichnungen. Sie saß eine Weile nur da und kaute vor sich hin wie ein alter Gaul; dann begann sie, in der Ablagemappe herumzukramen, tat furchtbar geschäftig, wühlte geräuschvoll im Altpapierkarton. Er schrieb unbeeindruckt die ersten Zeilen seines Artikels.
    Das Faxgerät knatterte. Sie stand auf, schaute zu, wie sich die Nachricht heraus quälte, reckte den Kopf, um schon mal zu lesen, und murmelte übereifrig:
    „Das wird den Redaktionsleiter interessieren!“ – riss das Fax ab und rauschte aus dem Raum.
    Er schob ihren Kuhfladen in die äußerste Ecke des Schreibtisches, breitete seine Notizen über die freigewordene Fläche aus und blieb für den Rest des Nachmittags ungestört.
    Gegen Abend kam die Czibull noch einmal wortlos herein, raffte ihre Sachen zusammen und murmelte im Hinausgehen irgend etwas, ohne ihn anzuschauen, ein Gruß war es nicht.
    Er kam sich plötzlich albern vor. Benahmen sich so zwei erwachsene Menschen? Wenn er sich ab jetzt zwang, nett zu ihr zu sein, dann würde sie ganz bestimmt auch netter zu ihm sein und irgendwann freiwillig ins andere Büro wechseln.
     
    Am nächsten Morgen scheiterte sein Vorsatz kläglich. Wieder kam er weit vor der Zeit, um mit der Souveränität des Hausherrn auftreten zu können. Er stieß die Tür zu seinem Büro auf – aber es war bereits von der Czibull erobert. Als hätte sie seine Gedanken vom Vortag erraten, hatte sie den Raum mit Duftmarken zugekleistert. Es gab kein Eckchen, das nicht als von ihr beansprucht markiert gewesen wäre: Auf dem Schreibtisch verbreitete sich ihr Handtaschen-Inhalt, über der Lehne des einen Besucherstuhls hing ihre grell-lilafarbe
ne
Lederjacke, auf der Sitzfläche des anderen stand ihre Fototasche, und, das ärgerte ihn am allermeisten, sie hatte das Büro umgeräumt. Ablagemappe, Aus- und Eingangskörbchen, Telefonbücher und Telefon, Papierkorb und Altpapierkarton, nichts war mehr da, wo er es gewohnt war, sogar das Faxgerät war
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