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Kobra

Kobra

Titel: Kobra
Autoren: Christina Czarnowske
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Person.
    Was habe ich eigentlich erwartet? Dass es zwei verschiedene sind? Warum?
    Ich schiebe die Waffeln weg und hole die Mappe mit der Patience hervor. Sie ist sehr kompliziert geworden.
    Während ich sie auf dem Schreibtisch ausbreite, klingeln die Telefone weiter. Der Capitaine de Police, Dupont, Sophie.
    Der Capitaine de Police berichtet, dass man nach den Worten der Frau in der Allée le Gramat 4 doch noch ein Phantombild angefertigt hat. Ich habe ebenfalls ein paar Bilder, die verglichen werden müssten, und zwar sofort. Man soll den Wagen schicken. Dupont teilt mit, dass das Fabrikat der Tatwaffe inzwischen bekannt ist. Es ist eine Browningpistole, Modell 1947, mit Schalldämpfer. Ein ziemlich altes Modell. Mich interessiert eine Einzelheit – ob der Schuss aus solch einer Pistole auf der Hand des Schützen irgendwelche Spuren hinterlässt. Dupont antwortet ein wenig ausweichend: Möglich wäre es beim Vorhandensein eines Schalldämpfers durch den Pulverdampf, aber der Beweis wäre eine delikate Sache und immerhin ...
    Sophie meldet, dass sie einen eiligen Auftrag ausgeführt hat. Er ist ein bisschen eigenartig. Heute, von nachmittag bis abend werden die Gäste in den Pariser Hotels gebeten zu statistischen Zwecken ein Formular auszufüllen, das die Zentrale für Tourismus benötigt. Ein paar gewöhnliche Angaben, die die Zentrale seit Langem einholen wollte, und sie hat sogar die Formulare schon drucken lassen. Ich weiß nicht, wie nötig sie diese Formulare gebraucht hat, aber mir kommen sie gerade recht. 
    Lange kann ich nicht über der Patience brüten, weil ich um halb vier beim Minister sein muss. Ich stehe auf und gehe. Auch ihn hat das Fieber gepackt. Der Minister sitzt nicht mehr hinter seinem Schreibtisch, sondern tigert durch das Zimmer. Auf dem Schreibtisch bemerke ich ein Dutzend vollgeschriebener Seiten, die er zusammengetragen hat, bevor ich hereinkam. Er hat auch seine Methode, über besonders verwickelte Fälle nachzudenken. 
    „Schlimm!“, sagt der Minister mit gerunzelten Brauen. „Wer hätte so eine Verbindung vermuten können. Da haben wir geschlafen.“ 
    Er spricht in der Mehrzahl, macht mir keine Vorwürfe und hat auch nicht vor, mir welche zu machen, aber die Schuld trifft mich. Die Fenner könnte noch leben, wenn wir ... viele „Wenn wir“. Doch wie will man jemanden beschützen, der sich selbst nicht vorsehen will! 
    „Wer war es deiner Meinung nach?“, fragt der Minister. 
    Abermals beginne ich die Differenzialdiagnose. Eine nach der anderen schließe ich die in Frage kommenden Personen aus. Der Minister dreht sich zu seinem Schreibtisch um, hört mir zu und notiert etwas auf den Seiten, die vor ihm liegen. Ich versuche, das Bild des Mordes zu rekonstruieren, wie ich es mir vorstelle, und danach das Abendprogramm eines jeden meiner Bekannten. Irgendwo müssen die beiden Handlungslinien zusammenlaufen. Jemandes unerschütterliches Alibi muss platzen. Und dieser Jemand könnte eine Frau mit Schuhgröße 38 sein. 
    „Gut. Was schlägst du vor?“ 
    Ich muss wenigstens drei Varianten in Reserve haben. Die erste ist ganz alltäglich. Es ist vielleicht die Sicherste, aber auch die langsamste.
    „Wir haben keine Zeit. Wann reisen die Leute ab?“, erkundigt sich der Minister. 
    Das Unglück ist, dass wir tatsächlich keine Zeit haben, sie können jeden Augenblick abreisen. Morgen reisen auf jeden Fall Frau Nilsson und Herr Neumann ab. Schultzes fahren weiter in den Süden, aber es ist keineswegs ausgeschlossen, dass sie es sich im letzten Augenblick anders überlegen und nach Italien abbiegen. Wer wird sie aufhalten und weshalb? Das Ehepaar Poletti ist noch hier, wird aber das Hotel verlassen und einen Ausflug nach Cannes machen. Ganz zu schweigen von Antonio Delacroix und Herr Panaridis, die morgen früh einfach in den Flieger nach Athen steigen und den Thermosflaschen-Container vielleicht sogar hier vergessen. 
    Nein, wir haben keine Zeit. 
    Die zweite Variante ist recht zweifelhaft. Ich lege sie dar und bin selbst nicht dafür. Sie ist nicht schlau genug für den Gegner, mit dem wir es zu tun haben.
    Bleibt mir, das Risiko eines schnellen Zuschlages auf mich zu nehmen und eines kleinen oder ausgewachsenen diplomatischen Skandals. Aber ich muss. Immerhin ist Angriff die beste Verteidigung, ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat. Ich lege den Plan dar, von seiner besten Seite, versteht sich. Der Minister kneift die Augen zu und schweigt. Das ist so eine Gewohnheit
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