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Knochenraub am Orinoko

Knochenraub am Orinoko

Titel: Knochenraub am Orinoko
Autoren: Cornelie Kister
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mit ernster Stimme. »In dieser hockenden Stellung sehen sie so aus, als warteten sie darauf, endgültig ins Totenreich einzukehren, findest du nicht?«
    Von der anderen Seite der Höhle hörte man ein Quietschen und Knacken. Es kam von Humboldt, der von einem der Skelette den Schädel entfernte. Pedro erschrak und langsam breitete sich in ihm das Gefühl aus, dass sie die Höhle doch besser verlassen sollten.
    Auch Bonpland war zusammengezuckt und sagte entrüstet: »Humboldt, jetzt ist es aber genug. Das ist Grabschändung!«
    Humboldt blickte zu ihnen hinüber. »Diesen Totenkult der Indianer zu erforschen, ist von unschätzbarem Wert für die Menschen in Europa«, sagte er, ohne auf Bonplands Einwand einzugehen. »Seht nur, welche Sorgfalt sie auf die Bestattung ihrer Toten verwenden! Da ist kein bisschen Muskelfleisch mehr an den Knochen.« Beeindruckt drehte er den Schädel vor seinen Augen hin und her. »Alles mit scharfen Steinen abgeschabt.«
    Pedro spürte, wie die Übelkeit in ihm hochkroch. »Ich würde jetzt lieber nach draußen gehen.«
    »Ich auch!«, schloss sich ihm Bonpland prompt an. »Sie sollten die Skelette besser wieder in die Körbe zurücklegen, Humboldt.«
    Humboldt starrte sie entgeistert an. Sein Blick war wie verschleiert, als hätte ihn der beißende Harzgeruch ein wenig benebelt. »O nein, ich werde sie natürlich mitnehmen. Das ist ein Schatz für das Berliner Museum. Was glauben Sie, Bonpland!«
    »Aber   …!«, versuchte Bonpland zu widersprechen.
    »Kein aber«, fuhr ihm Humboldt dazwischen. »Zum Glück habe ich genügend Tücher mitgenommen.«
    »Komm, Pedro«, sagte Bonpland nun entschlossen. »Damit will ich nichts zu tun haben. Was Sie da machen, Humboldt, ist frevelhaft und wird die Indianer gegen uns aufbringen. Sie wissen doch, was die Indianer glauben, oder etwa nicht?«

    »Natürlich weiß ich das«, entgegnete Humboldt, während er sich an einem weiteren Korb zu schaffen machte und Arm- und Beinknochen herausholte. »Wenn man die Seelen der Toten auf ihrer Reise ins Jenseits stört, werden sie sich böse rächen.«
    Pedro öffnete erschrocken den Mund.
    »Genau! Es ist das Schlimmste, was Sie den Indianern antun können. Geister, deren Reise ins Totenreich gestört wird, werden für die Lebenden gefährlich.« Bonpland blitzte Humboldt wütend an, doch dieser antwortete nicht mehr. Stattdessen begann er damit, die Knochen sorgfältig in Tücher einzuwickeln. Bonpland nahm Pedro bei der Hand und zog ihn energisch hinter sich her ins Freie, wo sie erst einmal tief Luft holten.

Rache!

    Als Pedro und Bonpland aus der Höhle traten, wurden sie von Abasi schon ungeduldig erwartet. Auch die Indianer standen im Halbkreis und musterten die Ankömmlinge mit lauerndem Blick.
    »Was du haben gemacht?«, fragte Abasi und spähte über Pedros Schulter hinweg in die Höhle.
    Pedro dachte an Humboldt, der da drin wahrscheinlich gerade einzelne Skelette in seine Tücher packte. Nach dem, was Pedro in der Zwischenzeit über den Totenkult der Indianer erfahren hatte, beschloss er, es sei das Beste, nicht so genau zu erzählen, was in der Höhle tatsächlich vorgefallen war. Deshalb antwortete er ausweichend: »Och, eigentlich nichts Besonderes. Da standen nur so Körbe rum.« Aber Abasi war misstrauisch, er runzelte die Stirn und schaute weiterhin argwöhnisch ins Dunkel der Höhle.
    »Glaubst du eigentlich auch an Totengeister?«, fragte Pedro nachdenklich.
    Abasi nickte heftig: »Seelen von Toten gefährlich!«
    Pedro erschrak und blickte sich unsicher nach Humboldt um.
    Hoffentlich merkten sie nicht gleich, was er da aus der Höhle schleppte! Pedro hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da tauchte Humboldt mit zwei größeren Bündeln unter dem Arm im Eingang auf und lächelte verlegen in die Runde.
    »So!«, sagte er sichtlich bemüht, seiner Stimme einen harmlosen Tonfall zu verleihen. »Das war doch recht interessant, aber ich denke, es wird nun Zeit für den Abstieg.«
    Schweigen. Die Indianer standen wie angewurzelt da und starrten auf Humboldts Bündel. Dann löste sich ihr Anführer aus der Gruppe und ging mit zögernden Schritten auf den Forscher zu. Keiner sagte ein Wort. Der Indianeranführer blieb dicht vor Humboldt stehen, bückte sich und schob seine Nase an das schmutzige Tuch heran, mit dem Humboldt die Knochen eingewickelt hatte. Im nächsten Moment schrie er entsetzt auf. Pedro zuckte zusammen und auch die anderen erstarrten vor Schreck.
    Mit zitterndem
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