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Knochenhaus (German Edition)

Knochenhaus (German Edition)

Titel: Knochenhaus (German Edition)
Autoren: Elly Griffiths
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ihren Tischnachbarn zu bezirzen, eine Knalltüte namens Leo, im rosafarbenen Hemd und mit einer albernen Brille auf der Nase. Nelsons Tischdame, eine stattliche Erscheinung im blauen Satinkleid, hat ihn bisher keines Blickes gewürdigt, sodass er Edward Spens’ Marketingtiraden hilflos ausgeliefert ist.
    «Wir sind ein Familienunternehmen», sagt Spens gerade. «Gegründet wurde es von meinem Vater, Roderick Spens. Sir Roderick, um genau zu sein, er wurde für seine Verdienste um die Baubranche zum Ritter geschlagen. Offiziell hat er sich längst zur Ruhe gesetzt, aber er erscheint natürlich trotzdem noch jeden Tag im Büro und versucht mir zu erklären, wie ich die Geschäfte zu führen habe. Er ist zum Beispiel strikt gegen die Erschließung des Grundstücks an der Woolmarket Street. Dabei ist das doch ein erstklassiges Immobilienobjekt.» Er lacht ausgiebig. Nelson mustert ihn mit steinerner Miene. Immobilienobjekt. Für wen hält der Kerl sich eigentlich?
    «Harry!» Erst jetzt merkt er, dass seine Frau doch tatsächlich auch mal mit ihm redet. Sie strahlt ihn von der anderen Tischseite her an.
    «Harry, Leo sprach gerade von dieser römischen Siedlung, die sie ausgegraben haben. Ganz in der Nähe von Swaffham. Da habe ich ihm erzählt, dass wir auch eine Bekannte haben, die Archäologin ist.»
    Zu Nelsons großer Überraschung haben Michelle und Ruth sich auf Anhieb bestens verstanden. Michelle brüstet sich gern mit dieser intellektuellen Bekanntschaft: «Ich schwöre, sie verschwendet nicht einen Gedanken an ihr Aussehen.» Sie wäre garantiert erfreut zu hören, dass Ruth nicht abgenommen hat.
    «Stimmt», sagt Nelson, bleibt aber auf der Hut. «Sie arbeitet an der Universität.»
    «Ich schreibe gerade ein Stück», sagt Leo mit großem Ernst, «über den römischen Gott Janus. Den Gott mit den zwei Gesichtern. Den Gott des Anfangs und des Endes, der Türen und Tore, der Vergangenheit und der Zukunft.»
    Janus. In Nelsons Kopf regt sich etwas, das es aber nicht gleich schafft, sich durch Champagner und Spanferkel hindurchzukämpfen. Ach ja, klar, dieser neunmalkluge Freund von Ruth, der Typ von der Universität Sussex. Janus, der Gott der Türen und Tore.
    Und plötzlich wird Nelson noch etwas anderes klar. Es ist, als würde ein Film zurückgespult, der ihn erst beim zweiten Mal erkennen lässt, was eigentlich die ganze Zeit offensichtlich war. Er sieht Ruth wieder auf sich zukommen, das weite Oberteil vom Wind eng an den Körper gedrückt. Sie hatte nicht nur nicht abgenommen, sondern schien sogar noch etwas zugelegt zu haben.
    Ist es denkbar, dass Ruth schwanger ist? Falls ja, ist er möglicherweise der Vater.

[zur Inhaltsübersicht]
    3
    «Wie, du bist schwanger? Du bist doch nicht mal verheiratet!»
    Es ist so eine Situation, in der Ruth am liebsten den Kopf in den Nacken legen und wie ein Wolf heulen würde. Sie hat sich ihre Enthüllung extra für den Sonntagsspaziergang durch den Castle Wood aufgehoben, in der Hoffnung, dass ihre Mutter vor allen Leuten vielleicht nicht gleich hysterisch werden würde. Aber weit gefehlt.
    «Man braucht nicht verheiratet zu sein, um schwanger zu werden», sagt sie.
    Ihre Mutter richtet sich zu ihrer vollen Größe auf. Sie ist ebenso üppig wie Ruth, wirkt allerdings eher majestätisch als dick, wie Königin Victoria in einer Hose von Marks & Spencer.
    «Das ist mir durchaus klar, Ruth. Wie du aber sehr wohl weißt, will ich darauf hinaus, dass Gott zum Zweck des Kinderzeugens nun mal die Ehe geschaffen hat.»
    Dass Gott früher oder später ins Feld geführt werden würde, war absehbar. Ruths Eltern sind Wiedererweckte Christen und glauben fest daran, dass Ruth, bis sie selbst dereinst Wiedererweckte wird, direkt auf die ewige Verdammnis zusteuert – die sie in diesem Moment ihrem aktuellen Aufenthaltsort in Eltham eindeutig vorziehen würde.
    «Aber ich bin nun mal nicht verheiratet», sagt sie so ruhig wie möglich und setzt im Stillen hinzu: Der Vater allerdings schon. Ihr ist klar, dass diese Zusatzinformation die Sache kaum besser machen würde.
    «Von wem ist es denn?», erkundigt sich ihr Vater mit belegter Stimme. Ruth mustert ihn traurig. Normalerweise ist er immer etwas zugänglicher als ihre Mutter, doch jetzt scheint er drauf und dran, sich in die Rolle des zornigen viktorianischen Patriarchen hineinzusteigern.
    «Das möchte ich nicht sagen.»
    «Das möchtest du nicht sagen?!» Ruths Mutter sinkt auf einen Baumstumpf. «Oh, Ruth, wie kannst du
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