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Knochenfunde

Knochenfunde

Titel: Knochenfunde
Autoren: Iris Johansen
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mit dem Bild von Eve Duncan, das ihn veranlasst hatte, Melton anzurufen. Das Foto zeigte eine Frau von Anfang dreißig mit einem selbstbewussten, intelligenten, von braunen Locken eingerahmten Gesicht. Sie trug eine Nickelbrille und strahlte eine ungewöhnliche Mischung aus Mut und Sensibilität aus. »Ich bin über ihre professionellen Fähigkeiten im Bilde, aber ich muss mehr über ihren Hintergrund wissen. Ich muss wissen, wie ich an sie herankommen kann.«
    »Sie wurde unehelich geboren und ist bei ihrer cracksüchtigen Mutter in den Slums von Atlanta aufgewachsen. Später wurde die Mutter von ihrer Drogensucht geheilt, und seitdem haben die beiden ein enges Verhältnis zueinander. Eve bekam mit sechzehn eine
    Tochter namens Bonnie. Danach ist sie wieder zur Schule und anschließend an die Uni gegangen. Sie war mitten im Studium, als ihre siebenjährige Tochter von einem Verrückten ermordet wurde, der schon elf weitere Kinder auf dem Gewissen hatte. Die Leiche wurde nie gefunden, was Duncan dazu veranlasste, Gesichtsrekonstrukteurin zu werden. Sie hat ihren Abschluss an der Georgia State University gemacht und sich zu einer der Besten auf ihrem Gebiet entwickelt. Sie arbeitet freiberuflich und für mehrere Polizeidirektionen im ganzen Land.«
    »Und ihr Privatleben?«
    »Sie lebt mit Joe Quinn zusammen, einem Detective bei der Polizei von Atlanta. Sie sind befreundet, seit ihre Tochter vor über zwölf Jahren ermordet wurde, aber sie leben erst seit etwa zwei Jahren zusammen. Vor kurzem hat sie ein zwölfjähriges Mädchen adoptiert, Jane MacGuire, die, genau wie Duncan, auf der Straße aufgewachsen ist. Die drei wohnen in einem Haus am See, in der Nähe von Atlanta.
    Duncans Tochter Bonnie ist auf ihrem Grundstück begraben.«
    »Sie sagten doch, die Leiche wurde nie gefunden.«
    »Doch, letztes Jahr. Es waren neue Informationen aufgetaucht, und man fand das Skelett im Chattahoochee National Forest. DNS-Tests ergaben, dass es sich um Bonnie Duncan handelte.«
    Und Eve Duncan hat ihren Frieden gefunden, dachte Hebert. Er
    wusste, was es bedeutete, wenn ein Fall abgeschlossen war. Er konnte sich gut vorstellen, in welcher düsteren Welt Eve all die Jahre gelebt hatte.
    »Sonst noch was?«, fragte Melton. »Ich kann Ihnen alle Einzelheiten liefern, falls Sie sie brauchen.«
    Eiskalt und ungerührt. Jules war sich sicher, dass Melton die Einzelheiten ebenso kühl und lässig von sich geben würde, wie er ihm Eve Duncans Geschichte erzählt hatte. »Nicht nötig.«
    Diese Sache konnte er Melton nicht überlassen. Mit Eve Duncans Schwächen musste er sich persönlich befassen.
    Sie geht so sehr in ihrer Familienidylle auf, dass sie außer ihrem Häuschen in Georgia nichts mehr interessiert.
    Sie hatte einen Mann und ein Kind, und ihr eigen Fleisch und
    Blut war auf ihrem Grundstück begraben. Wahrscheinlich war sie sehr glücklich. Warum auch nicht? Sie hatte sich ihren Frieden verdient.
    Um also zu bekommen, was er wollte, musste er diesen Frieden
    zerstören. Und er wusste, dass er es tun würde, so wie er alles tat, was getan werden musste. Er würde alles stehen und liegen lassen und zum Flughafen fahren. Er musste sie dazu bringen, sofort von Atlanta aufzubrechen.
    Aber eins musste er vor seiner Abreise noch erledigen.
    »Ich fahre nach Atlanta.«
    »Gut, dass Sie aktiv werden. Ich rate Ihnen, das Problem so bald wie möglich zu lösen. Vergessen Sie nicht, Ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit, um den Schlamassel in Ordnung zu bringen. Boca Raton ist für den neunundzwanzigsten Oktober angesetzt.«
    »Daran brauchen Sie mich nicht zu erinnern. Ich werde beides in die Hand nehmen.«
    »Wir haben Ihnen lange Zeit vertraut, aber die Leute vom Cabal sind ziemlich verstimmt seit diesem Patzer mit Etienne.«
    Vor allem war Melton sauer. Wahrscheinlich fürchtete er, er
    würde der Nächste sein. Feiger Hund.
    »Ich musste ihn erschießen. Es war Notwehr.«
    »Ach ja?« Melton atmete aus. »Ich gebe zu, ich habe mich schon gefragt, ob Sie ein doppeltes Spiel treiben.«
    »Sie haben keinen Grund, mich dessen zu verdächtigen.«
    »Na, dann sorgen Sie mal dafür, dass Ihr Fehler kein Nachspiel hat.«
    »Deswegen fahre ich nach Atlanta. Ich werde eine Lösung fin-
    den.«
    »Das würde ich Ihnen auch raten.« Melton legte auf.
    Melton hatte die Drohung nur indirekt ausgesprochen, doch sie war unmissverständlich. Jules schluckte seine Wut hinunter und versuchte, sich zu beruhigen. Es war das erste Mal seit Jahren, dass
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