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Klostergeist

Titel: Klostergeist
Autoren: Silke Porath
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zurück. Atemlose Sekunden verrannen, bis Pius sich wie ferngesteuert auf die Knie sinken ließ. Seine Hände zitterten, als er den Rücken des Mannes berührte. Dessen Schulter, die Arme. Unter dem Kopf, der mit dem Gesicht nach unten lag, sickerte Blut hervor und färbte die weißen Kiesel rot. Pius tastete nach dem Hals des Mannes. Suchte die Schlagader. Hoffte auf ein Pulsieren. Doch da war nichts.
    »Oh mein Gott.« Sunil stöhnte und ließ sich auf den Boden sinken. Der Pater barg das Gesicht in den Händen.
    In dem Moment, als Pius an den Schultern des Mannes ruckte und den Leichnam auf den Rücken drehte, traten die Mitbrüder aus der Kirchenpforte. Irgendwo krächzte ein Vogel. Der Kies knirschte leise, als der Tote auf dem Rücken zu liegen kam. Pius öffnete den Mund, doch es entwich kein Schrei. Der Pater starrte in das verunstaltete Gesicht von Manfred Engel. Der Bürgermeister glotzte aus hohlen, toten Augen zurück.
     
    Hier ist Radio Donauwelle, euer Sender für Tuttlingen! Am Mikrofon ist noch immer eure Nachteule Regina. Eben kommt eine Pressemitteilung aus dem Rathaus herein. Alle Achtung, die Tuttlinger Beamten machen Frühschicht! Ah ja … das ist ein Hinweis, dass ab sofort der Vorverkauf für den Honbergsommer startet. Sag ich doch, Frühaufsteher picken die besten Körner. Mein Tipp an euch: Verschenkt doch Karten für den genialen Tim Fischer oder die Abba-Coverband zu Weihnachten!
    Ich geh dann mal nach Hause. Draußen am Regler steht schon Kollege Steven, um euch durch den Morgen zu begleiten. Steven, Schätzchen, koch Kaffee, du siehst müde aus.
    Ein Hinweis an die Autofahrer: In Rietheim steht noch immer ein Blitzer in Höhe der alten Tankstelle.
    Das war’s von mir für diese Nacht. Macht euch einen tollen Tag! Für alle, die eben aus dem Bett krabbeln, kommen hier die legendären Wham mit ›Wake me up, before you gogo‹.
     
    Kommissar Thorben Fischer lag, in dicke Daunen gebettet, auf dem Rücken und ging seiner nächtlichen Lieblingsbeschäftigung nach – er schnarchte. Und zwar immer so lange, bis er, lauter werdend, selbst davon erwachte, sich unwirsch und mit einem Ruck auf die Seite warf und wieder einschlummerte.
    Gerade hatte sich dies zum neunten Mal in dieser Nacht wiederholt und er war im Halbschlaf wieder beim Segeln am Bodensee angelangt, als plötzlich die Schiffssirene ertönte. ›Tut-tuuut‹. Wie aus dem Nichts kam der Bodenseedampfer direkt auf ihn und seine kleine Jolle zu und ließ unaufhörlich die Sirene hören. Kurz vor der Kollision schreckte Fischer mit geweiteten Augen und offenem Mund hoch, aber das Tuten wollte nicht aufhören. Als er die Schlafbrille abzog, begriff er allmählich, dass sein Handy auf dem Designer-Nachttisch klingelte und vibrierend tanzte, fuhr sich mit den Händen über die leicht verquollenen Augen, ärgerte sich über sich selbst, dass er ausgerechnet dieses Tuten als neuen Klingelton gewählt hatte, blickte auf den Wecker, was seine Miene weiter verdüsterte, und nahm das Gespräch an.
    Es war Verena Hälble, die leitende Kommissarin in Rottweil, was, wenn es möglich gewesen wäre, seine Laune noch weiter gesenkt hätte. Verena Hälble war nämlich nicht nur seine um zwei Jahre jüngere Vorgesetzte, sie war auch trotz bereits sechswöchiger Bemühungen seit seiner Ankunft in Spaichingen seinem grandiosen Charme noch nicht erlegen. Und nicht nur das, sie hatte immer das letzte Wort – und das war meist auch noch ein kluges, wie er sich verdrossen eingestehen musste
    »Thorben, genug geschnarcht, Manfred Engel liegt tot auf dem Dreifaltigkeitsberg, ist vom Turm der Kapelle gestürzt. Ich hole dich in 11 Minuten und 27 Sekunden vor deiner Haustüre ab.« Das war typisch Hälble. Seit ihrer Schulzeit am Gymnasium in Spaichingen – und später am Immanuel-Kant-Gymnasium in Tuttlingen, wegen schlechter Noten, aber das war ein anderes Kapitel – wettete sie mit sich selbst um die Dauer aller Wegstrecken. Egal ob mit dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß – sie wettete um ein Stück Kuchen oder ein süßes Stückle. Nachdem sie aber viel zu oft gegen sich gewonnen hatte und die vielen Kuchen und süßen Stückle langsam sichtbare Ablagerungen zeigten, hatte sie im letzten Jahr begonnen, zu den Minuten noch die Sekunden dazuzunehmen, was die Anzahl des gewonnenen Backwerks deutlich reduzierte, damit aber auch ihr Gewicht und die Freundlichkeit ihres Bäckers.
    Nach 11 Minuten und 31 Sekunden kreuzte Verena Hälble vor Fischers
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