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Klostergeist

Titel: Klostergeist
Autoren: Silke Porath
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Hausen: ›Riders in the Storm‹ von den Doors. Sie grüßt ihren Mann, der mit einem zertrümmerten Zeh im Krankenhaus liegt.
     
    »Kein Anzeichen von Gewalt«, sagte Prätorius in gepflegtem Hochdeutsch. »Keine absonderlichen Schürfwunden, keine Hämatome, keine Kampfspuren.« Der Mann war eigentlich Anästhesist im Kreisklinikum und hatte in der Nacht den Notdienst geleitet. Deswegen war auch er zum Unfallort gerufen worden. Doch Prätorius hatte mit Mühe das Zittern seiner Hände unterdrücken können, als er die Leiche des Bürgermeisters untersuchte. Erstens lagen 18 Stunden Dienst hinter ihm (drei Herzinfarkte, zwei davon eingebildet, eine gebrochene Hüfte, ein beim Holzhacken versehentlich abgetrennter linker Daumen) und zweitens lag vor ihm der Bürgermeister. Tot. Für den gebürtigen Spaichinger eine Nummer zu groß. »Aber so kann ich dazu auch nicht viel sagen, da muss schon ein Pathologe ran.« Hilflos blickte der Mediziner von Verena Hälble zu Thorben Fischer und wieder zurück.
    »Über den Todeszeitpunkt herrscht ja immerhin Einigkeit«, konstatierte Fischer und nestelte an seinem seidenen Halstuch. »Die heilige Dreieinigkeit, sozusagen.« Er grinste und entblößte dabei seine frisch gebleichten Zähne.
    »Ich denke, der Leichnam kann ins Tal geschafft werden«, unterbrach Verena Hälble ihren Kollegen. »Die Tübinger Gerichtsmedizin wird uns Näheres sagen können.«
    Der Anästhesist atmete sichtlich auf und drängte sich durch den Kreis der umstehenden Patres zum Wagen. Kurz darauf brummte der Motor und der SanKa schlängelte sich den Berg hinab.
    Verena Hälble nickte Pater Pius zu, der sich ihr zuwandte, als zwei Mitarbeiter vom Bestattungshaus Schwarz einen silbernen Sarg aus ihrem Wagen hievten.
    »Wie im Fernsehen, da kommen sie auch immer mit der Zinkwanne«, sagte Pius und streckte Verena Hälble die Hand hin. »Aber leider ist das hier alles echt.« Die Kommissarin schlug in Pius’ Hand ein. Die Finger des Paters waren eiskalt. »Wie geht es Ihnen?« Verena Hälble hätte den Pater am liebsten in den Arm genommen – so hatte sie ihn noch nie gesehen. Vor etwas mehr als 20 Jahren, Pius war ein Mann im besten Alter und Verena eine zickige Drittklässlerin gewesen, hatte der Pater ihr die Erstkommunion abgenommen. Seitdem hatten sich ihre Wege immer wieder gekreuzt – mal im Beichtstuhl, mal bei einem gemütlichen Glas Bier auf der Sommerterrasse vor der Klosterschenke.
    Der Bürgermeister und Pius Vater hatten nichts gemeinsam, doch die Art, wie die Gliedmaßen verdreht waren, katapultierte Pius zurück zu jenem Tag seiner Kindheit, an dem der Vater Zwetschgen ernten wollte. Die Geschichte war schnell erzählt: Die Leiter war morsch, der oberste Tritt brach und der Vater überlebte den Sturz nicht. Verdaut hatte Pius das bis heute nicht.
    »Mir geht es gut, aber Pater Sunil hat wohl einen mächtigen Schreck bekommen.« Pius deutete auf die Gestalt mit der milchkaffeefarbenen Haut, die auf der Bank neben dem Aussichtsfernrohr hockte und vor sich hin starrte.
    »Fischer, Kriminalhauptkommissar«, drängte Thorben sich zwischen die beiden.
    »Darf ich vorstellen? Mein Kollege.« Mittlerweile hatten Verenas Augen innerlich schon ein paar Umdrehungen hinter sich, als Fischer sich wie ein Pfau vor dem Pater aufplusterte.
    »So, Sie waren also direkter Zeuge des Falls, des Runter-Falls«, polterte Fischer und grinste. Verena Hälble hoffte, dass der Pater noch zu geschockt war, um die unmöglichen Wortspiele des Kollegen zu verstehen.
    »Ja, so ist es, Herr Fischer, der Herr Engel ist sozusagen direkt vor meinen Füßen gelandet.« Pius seufzte innerlich und rief seinen Herrgott um Geduld mit diesem Kommissar an.
    »Ich denke, wir sollten den Patres Zeit geben und erst später mit den Befragungen beginnen«, ging Verena Hälble dazwischen. Sie hatte die Ratlosigkeit der Männer bemerkt und ahnte, dass diese sich nun erst einmal zum stillen Gebet zurückziehen wollten. Und richtig – der dankbare Blick von Pius gab ihr recht.
    »Ja, aber, die Personalien …«, stammelte Fischer. »Ich mein, das ist doch ein ganz heißer Fall hier, haha, ein Fall von einem Fall … und dazu der Bürgermeister …«
    Innerlich verdrehte Verena Hälble wiederholt die Augen. Äußerlich bemühte sie sich um Ruhe.
    »Ob hier der Herr Engel oder der Herr Merkt, Herr Hafen oder sonstwer vom Turm gestürzt ist – wir sind immer noch in einem Kloster und da sollten auch wir Rücksicht nehmen!«,
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