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Kleiner Werwolf - Funke, C: Kleiner Werwolf

Kleiner Werwolf - Funke, C: Kleiner Werwolf

Titel: Kleiner Werwolf - Funke, C: Kleiner Werwolf
Autoren: Cornelia Funke
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seine Hinterläufe und fletschte die Zähne. Das Kaninchen schrie. Es schrie wie ein kleines Kind. Seine Augen waren weit aufgerissen und starrten Motte an.
    Da ließ er los.
    Das Kaninchen stob davon und Motte saß zwischen Farn und Brennnesseln und zitterte. An seinen Krallen hingen Flocken von Kaninchenhaar.
    Langsam kam er auf die Beine. Seine Jacke und seine Hose waren voller Kletten. Sogar im Gesicht hingen die Dinger ihm. Er fuhr sich mit den Pfoten übers Fell und versuchte, sie abzustreifen, aber ohne Finger war das nicht leicht.
    Furchtbar müde fühlte er sich plötzlich. Mühsam befreite er sich von ein paar Brombeerranken, zog die Kapuze tief übers Gesicht und trottete zurück auf die Wiese. Er fror, trotz seines Fells. Und er wollte nach Hause. Obwohl er keine Ahnung hatte, was er seinen Eltern sagen sollte. Er wusste nicht, wo er war, doch zum Glück kannte der Wolf in ihm den Weg.
    Für Mottes Augen war es nicht zu dunkel. Trotzdem fühlte er sich so, wie sich ein neunjähriger Junge fühlt, der mitten in der Nacht mutterseelenallein durch viel zu dunkle Straßen läuft. Nur einmal, als ein Mann ihm in den Weg trat und die Hand nach ihm ausstreckte, da bleckte er die Zähne und knurrte. Erschrocken wechselte der Mann die Straßenseite, und für einen kurzen Moment war es wieder da, das wunderbare Wolfsgefühl. Aber Motte hatte immer noch das Schreien des Kaninchens im Ohr, er fühlte die weichen, dünnen Hinterläufe – und es grauste ihm vor sich selbst.

    Als er endlich vor der Haustür stand, wusste er nicht weiter. So konnte er doch unmöglich bei seinen Eltern auftauchen. Er schloss die Haustür auf und schlich die Treppe hoch. Diesmal begegnete ihm zum Glück niemand im Treppenhaus.
    Ihr Versteck auf dem Dachboden war der einzige Ort, an den er noch konnte. Der einzige Ort, an dem er sicher war.
    Er kroch durch den Schrank und hockte sich auf das alte Sofa. Aber vor dem Mond konnte er sich selbst hier nicht verstecken. Sein blasses Licht fiel durchs Dachfenster auf den verschlissenen Teppich.
    Macht nichts, dachte Motte und legte die Arme um die angezogenen Beine. Hier kann ich wenigstens niemanden auffressen, und Faulwetter findet mich hier auch nicht, um seine Fotos zu machen.
    Wie lange er so dasaß, wusste er nicht. Aber irgendwann raschelte es im Schrank und Lina kam.
    »Hier bist du also«, sagte sie erleichtert. »Mensch, weißt du, wo wir dich überall gesucht haben? Sogar im Tierheim sind wir gewesen. Wär ja möglich gewesen, dass dich ein Hundefänger geschnappt hat.«
    Sie setzte sich neben Motte und legte ihm den Arm um die Schulter. »Um Faulwetter und seine Fotos brauchst du dir keine Gedanken zu machen«, sagte sie. »Die gibt es nicht mehr. Die Fotos, mein ich. Wie ein Drache ist die Pruschke auf ihn los. Sie hat ihm den Fotoapparat weggerissen, den Film rausgenommen und ihn kaputtgemacht. ›Lassen Sie den Jungen in Ruhe, Sie Mistkerl!‹, hat sie gerufen. So laut, dass die Leute die Köpfe aus den Fenstern gesteckt haben. Und dann hat sie noch ganz leise gesagt: ›Wissen Sie was, Sie Knopfhirn, ich werde Sie beim Schulleiter anschwärzen, jawohl, das werde ich.‹ Faulwetter hat wie vom Donner gerührt dagestanden. Dann kam das Taxi, und wir haben uns durch die halbe Stadt fahren lassen, um dich zu finden. Muss die Pruschke ein Vermögen gekostet haben.«
    »Tut mir leid«, murmelte Motte und sah zum Mond hinauf. »Deinen Eltern hab ich erzählt, dass du heute bei uns schläfst«, sagte Lina. »Okay?«
    Motte nickte.
    Schweigend betrachtete er seine Krallen. »Ich hab heute Nacht fast ein Kaninchen getötet.«
    »Wo?«
    »In einem Park.«
    Einen Moment war Lina ganz still. Dann sagte sie: »Du hattest eben Hunger. Und Wölfe gehen nun mal nicht in den Supermarkt. Willst du ein Käsebrot? Ich hab noch eins.«
    Motte schüttelte den Kopf. »Verstehst du denn nicht? Ich hätte es fast getötet! Getötet und gefressen. Mit Haut und Haaren.«

    »Ja, aber wir essen alle Tiere«, sagte Lina, »dauernd.«
    »Das ist was anderes!«, rief Motte. »Die hab ich alle nicht getötet.«
    »Stimmt, die Drecksarbeit hat ein anderer für dich gemacht«, sagte Lina. »Wölfe machen die Drecksarbeit selber. Finde ich nicht schlimmer.« Sie holte ihr Käsebrot heraus und kaute darauf herum. »Ziemlich trocken.«
    »Du verstehst das wirklich nicht!« Motte vergrub den Kopf zwischen den Knien. »Es war grausig. Weißt du was? Ich hatte richtig Spaß daran, es zu jagen. Das war das Schlimmste.
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