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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe
Autoren: Silke Schuetze
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gereizt und hektisch. Sein Blick streift durch den Raum. »Na, da hast du ja noch eine Menge Arbeit vor dir«, sagt er und schnürt seine Schuhe zu. »Hast du dir das gut überlegt? Mit Makramee und Topflappenhäkeln kommst du hier nicht weit.« Er zeigt auf die offenen Kabel, die von der Decke hängen.
    Es ist nicht nett von ihm, darauf herumzuhacken, dass ich gern bastele, aber er hat dieses Hobby schon immer belächelt. Ich habe allerdings den Eindruck, dass er auch gar nicht nett sein will. Er will nur noch weg.
    Während er aus der Küche seine Tasche holt, stehe ich mit nackten, kalten Füßen im Türrahmen und denke unglücklich darüber nach, was man wohl in einer solchen Situation sagen kann. »Hab ein gutes Leben« etwa? Oder »Mach es gut«? »Melde dich mal«? Oder »Es war eine schöne Nacht. Ich werde dich nicht vergessen«? Vielleicht sogar: »Geh nicht. Unsere Scheidung war ein großer Fehler. Wir gehören doch zusammen«?
    Andreas scheinen völlig andere Gefühle zu bewegen. Mein Ex-Mann bricht das Schweigen mit einer Bemerkung, nach der ich zum ersten Mal über unsere Scheidung froh bin. Er klopft noch einmal anerkennend auf die Waschmaschine, die er angeschlossen hat, bleibt nachdenklich einen Moment lang vor dem Gerät stehen, und sagt dann: »Weißt du, Franziska, es ist schon gut, dass wir keine Kinder haben. Du bist so …« – er sucht nach Worten – »du bist so unselbständig! Mit einem Kind wärst du doch dauernd überfordert gewesen.« Er macht eine bedauernde Kopfbewegung. »Du willst zu wenig.« Dann schüttelt er sich, als wolle er den gestrigen Tag, den jetzigen Moment, diesen Morgen mit mir abschütteln wie ein Hund die Regentropfen. Es sieht aus, als schüttele er gleich unser ganzes gemeinsames Leben, unsere Ehe und auch noch mich mit ab.
    Er gibt sich einen Ruck, beugt sich kurz über mich, und wir verabschieden uns mit steifen Wangenküssen. Ich schaffe es nicht, ihm nachzusehen, wie er über den Hof geht, obwohl der erste Morgenschimmer den Himmel erhellt. Ich verkrieche mich wieder unter der Decke. Das Kopfkissen duftet nach seinem Rasierwasser. Aber meine Füße werden nicht mehr warm.

2. Kapitel
Wahrscheinlich wird es schlimmer als wir denken
weil es neu ist
und weil wir es nicht kennen
sie werden lügen
um uns zu trösten.
Bernd Begemann: »Wir sind fünfzehn«
    Z wei Menschen haben sich über meine neue Lebenssituation gefreut: meine Freundin Tina und mein Vater Hermann. Das würden beide natürlich abstreiten, wenn ich sie direkt darauf anspräche. Aber ich weiß, dass es so ist.
    Tina kenne ich seit der Schulzeit. Sie ist Physiotherapeutin mit eigener Praxis – und einem Flirt niemals abgeneigt. »Stell dir vor, was wir jetzt alles zusammen machen können!«, hatte sie geradezu gejubelt, als ich mit verheulten Augen von Andreas’ Trennungsplänen berichtete. »Tolle Wellness-Urlaube, Tanzkurse, Yoga, Feldenkrais, Kulturreisen!«
    »Aber ich will mit Andreas zusammen sein«, schluchzte ich.
    Tina winkte nur ab. »Mit dem machst du doch nix außer fernsehen und am Samstag den Wocheneinkauf.« Sie zeigte mir einen Vogel. »Und nach dem Krimi am Sonntag einmal in der Woche Sex?«
    Ich wurde rot, denn tatsächlich hatte es sich eine Zeitlang so eingespielt, dass wir nach dem »Tatort« miteinander schliefen. Woher Tina das wohl wusste? Hatte Andreas ihr irgendwann davon erzählt? Ich spürte einen heißen Strahl Eifersucht in mir hochschießen und warf ihr einen scharfen Blick zu.
    Tina aber lächelte unbefangen und winkte noch einmal beruhigend ab. »Keine Sorge, dein Ex hat kein Wort gesagt. Das ist gängige Praxis bei alten Ehepaaren. War bei mir und Bodo zuletzt auch so.«

    Mein Vater freute sich erst recht, als ich ihm von der Scheidung erzählte. Schon nach der Trennung hatte er angefangen, sich wieder in mein Leben einzumischen. Und nach der Scheidung glaubt er wohl, sogar das Recht dazu zu haben. Endgültig und mit Amtssiegel. Er hat mich nach Mamas Tod allein großgezogen. Als Mama noch lebte, war er in seinem Job als Koch derart eingespannt, dass ich ihn kaum zu Gesicht bekam. Damals kochte er in einem Edelrestaurant am Elbufer.
    »Koch zu sein«, sagte mein Vater immer, »bedeutet, Stress aushalten zu können!« Stundenlang am heißen Herd, Bestellungen von vierzig Gästen, ein schusseliger Kellner, der die Bestellungen durcheinanderbringt, ungeregelte Arbeitszeiten, Überstunden, Feiertagsschichten von dreizehn bis vierzehn Stunden … Papas Rekord lag bei
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