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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition)
Autoren: Klaus Modick
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jeden Tag einmal daran,
Ramona, dass nichts vergeht, was so begann.
    Warum Ramona? Warum nicht Clarissa? Ach, es war nur meine Mutter. Geschirr klapperte. Kastagnetten. Clarissa würde mit Kastagnetten klappern, ich würde dazu Gitarre spielen. Do, Re, Mi. Und unsere Kinder wären unser Publikum. Dass nichts vergeht, was so begann. Dass nichts vergeht. Es war schon vergangen. Sie liebte mich nicht mehr. Ach, Clarissa, zum Abschied sag ich dir Goodbye. Meine Mutter nötigte mir irgendeine weich gekochte Pampe auf. War das etwa Liebe? Keiner liebte mich.
    »Du musst etwas essen«, sagte meine Mutter.
    »Das mag ich aber nicht.«
    »Was würdest du denn gern essen?«
    »Eis.«
    »Eis?«
    »Vanille. Von Clarissa.«
    Und dann bekam ich tatsächlich ein Vanilleeis, nicht von Clarissa, nicht aus Tinottis Eisdiele, sondern von Langnese am Stiel. Meine Mutter hatte Hanna zum Kiosk geschickt. Das Eis war schon leicht angeschmolzen und tropfte auf die Bettdecke. Hanna beugte sich vor und wischte die Tropfen weg, wischte mir auch mit einem feuchten Waschlappen den Schweiß von der Stirn.
    Sie lächelte, und ihr Lächeln veränderte ihr Gesicht. Das war nicht mehr Hanna, die sich da über mich beugte. Es war – ja, sie war es!
    »Clarissa.«
    Keine Antwort.
    »Clarissa?«
    Da wurde das Gesicht wieder zu Hannas, und es war auch ihre Stimme. »Tinottis sind aus dem Schandfleck ausgezogen«, sagte sie. »Clarissa wohnt hier nicht mehr.«

15
Der Krater
    Das Foto zeigt ein Schild mit der Zeichnung eines Gebäudes, das wie aufgestapelte Schuhkartons aussieht. Eine Aufschrift verkündet, dass die Immobiliengesellschaft Siefken & Co. hier 12 hochmoderne Eigentumswohnungen errichtet. Der fertige Bau würde dreimal so hoch wie die Nachbarhäuser werden. Im Hintergrund erkennt man die Baugrube, auf deren Wasser sich die Sonne als milchiger Fleck spiegelt.
    Klack.
    Durch die Fotografie wird die Vergangenheit so gewiss wie die Gegenwart. Was man auf dem Papier sieht, ist so gewiss wie das, was man einmal berührt hat. Wenn man liebte, was man einmal berührt hat, kann uns solche Gewissheit traurig stimmen.

    Gefiltert durch die Storegardinen, warf die Straßenlaterne ein Lichtnetz aufs Parkett, einen eng geknüpften, blassgelben Maschendraht. Im Wohnzimmer bestand die einzige Lichtquelle aus dem vom Radio ausgehenden Schimmer. Wie ein böses Omen funkelte das magische Auge der Sendereinstellung giftgrün über der Bakelittastatur für UKW, MW, KW, LW. Die braun-weiß melierte Stoffbespannung vorm Lautsprecher, die wie eine von Omas Häkeldeckchen aussah, vibrierte, als erzitterte auch sie unter den Nachrichten, die wie Schläge einer unerbittlich vorrückenden Uhr aus dem Äther an unsere Ohren drangen, einer Uhr, die das Ende der Welt anzeigte. Es war fünf, wenn nicht schon drei oder zwei vor zwölf.
    In den vergangenen Tagen hatten Presse, Rundfunk und Tagesschau uns darüber informiert, dass amerikanische Aufklärungsflugzeuge auf Kuba sowjetische Raketenabschussbasen entdeckt hatten. Von dort konnten mit Atombomben bestückte Raketen jede Stadt der USA erreichen. Der amerikanische Präsident Kennedy, von dem meine Mutter inzwischen heftiger schwärmte als von O. W. Fischer, verlangte von den Russen, die die Existenz der Basen natürlich frech leugneten, den Abbau und die Rückführung sämtlicher Raketen.
    Da kenne, orakelte mein Vater düster, der Kennedy aber den Iwan schlecht. Für den gebe es nämlich kein Zurück, der halte bis zum letzten Mann, bis zur letzten Patrone, bis zum letzten Sonnenblumenkern jede Stellung.
    Schließlich verhängten die USA eine Seeblockade gegen sowjetische Schiffe, die weitere Raketen und Atombomben an Bord hatten. Und in dieser Nacht, in der sich kommunistische Frachter und amerikanische Kriegsschiffe Seemeile um Seemeile näher kamen, musste die Entscheidung fallen, ob Kennedy und Chruschtschow auf die roten Knöpfe drücken würden, die den Weltuntergang bedeuteten. Er würde dann nicht am 30. Mai, sondern am 28. Oktober stattfinden.
    Zwischen den Schreckensmeldungen des Echos des Tages, die durch gelegentliche Telefonschaltungen zu einem in Washington sitzenden Reporter noch dramatischer wurden, dudelte Musik, dem Ernst der Lage angemessen natürlich keine Schlager, keine leichte Muse, sondern gedämpftes, seriös Klassisches. Oma tippte auf Brahms, mein Vater auf Mahler.
    »Ich halt das nicht mehr aus«, stöhnte meine Mutter irgendwann, wobei unklar blieb, ob sie die Musik nicht mehr ertrug
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