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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition)
Autoren: Klaus Modick
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gemacht hast, entstanden nur aus einer Art Pflichtgefühl des Besitzers: Wer einen Fotoapparat hat, muss auch Fotos machen. Interessant sind nur die, mit denen du etwas beweisen wolltest – Belege dafür, dass diese Geschichte aus der Dunkelkammer des Kalten Kriegs tatsächlich geschehen ist.

    Oma hielt das Buch mit spitzen Fingern, als könne sie sich daran die Hände schmutzig machen, ließ es zwischen Streuselkuchen und Kaffeekanne auf den Tisch fallen und schob es angewidert von sich weg.
    »Das«, murmelte sie fassungslos, »ist ja die reinste Pornographie. Wie kommt das in meine Wohnung?«
    Hanna wurde rot. »Oh, ach das«, stotterte sie, »ja, das muss ich wohl liegen gelassen haben.«
    »Liegen gelassen? Auf meinem Klavier? Und ausgerechnet neben Eugens Foto? Der arme Eugen. Das ist – mir fehlen die Worte. Frevelhaft, jawohl. Und obszön.«
    »Was ist es denn überhaupt?« Mein Vater griff nach dem Buch, rückte die Brille zurecht und sah sich stirnrunzelnd den Umschlag an. » Die Blechtrommel. Günter Grass. Nie gehört. Wer soll das sein?« Er zuckte mit den Schultern. »Und wieso Pornographie? Hast du es gelesen?«
    »Ich lese keine Pornographie«, sagte Oma entrüstet. »Ich habe darin geblättert, und das hat mir gereicht. Man fasst es nicht.«
    »Gib schon her«, sagte Hanna und nahm meinem Vater das Buch aus der Hand, bevor meine Mutter danach greifen konnte. »Und regt euch ab.«
    Oma ließ aber nicht locker. »Ich dulde keine Pornographie. Nicht in diesem Haus, nicht unter meinem Dach.«
    Nicht unter meinem Dach? Ich dachte an das, was unterm Dach im Juchhe vor sich gegangen war, Kröver Nacktarsch, Pariser Boheme und so weiter, und grinste. Hanna durchbohrte mich mit einem grünen Giftblick.
    »Also, wie kommt dieser unsägliche Schmutz auf mein Klavier neben Eugens Bild?«, insistierte Oma.
    »Herr Lemartin hat mir vorgestern, nachdem ihr zur Beerdigung gefahren seid, wieder eine Klavierstunde gegeben«, sagte Hanna kleinlaut. »Du hast doch ausdrücklich erlaubt, dass er –, dass wir das Klavier benutzen dürfen. Und dann habe ich das Buch da aus Versehen liegen lassen.«
    »So kommt dann alles ans Licht«, sagte Oma fast triumphierend.
    Alles nicht, dachte ich.
    »Ich kann nicht begreifen, dass die Jugend von heute solche Sauereien liest. Warum keine schöne Literatur, warum nicht mal ein gutes Buch? Warum nicht mal Werner Bergengruen? Immer wieder schön. Oder Gertrud von le Fort? Warum nicht Luise Rinser oder Joachim Fernau?«
    »Fernau?« Mein Vater merkte auf. »Guter Mann. War der nicht bei der SS?«
    »Das spielt doch gar keine Rolle mehr«, befand Oma. »Er schreibt einfach köstlich.«
    Da niemand widersprach, war die Literaturdebatte vom Kaffeetisch, allerdings um den Preis eines weitaus heikleren Themas: die Sturmflut mit all ihren Konsequenzen. Als meine Eltern und Oma gestern Nacht von Tante Agnes’ Beerdigung aus Kassel zurückgekommen waren, schliefen Hanna und ich bereits. Herr Lemartin hatte wegen der Leckage über seinem Bett eigentlich zurück in die Pension ziehen wollen, in der er schon vor seinem Einzug ins Juchhe gewohnt hatte, aber wir quartierten ihn einfach in Omas Gästezimmer ein. Und damit Oma keinen Schock über die Anwesenheit des Emissärs erlitt, hängten wir eine entsprechende Nachricht an ihre Wohnungstür. Das fand Oma auch alles gut und schön und tadellos. Im Übrigen war das Hochwasser so weit gefallen, dass die Straßen in unserem Viertel nicht mehr überflutet waren. Vom Wassereinbruch im Keller ahnten Oma und meine Eltern also noch gar nichts, und auch den unter der Last des Birnbaumastes umgeknickten Zaun bekamen sie erst an diesem Morgen zu Gesicht.
    »Da kann man ja noch von Glück sagen, dass der Trumm euch nicht auf den Kopf gefallen ist«, meinte mein Vater. »Jetzt stehen zwar die Pfosten schief, aber das lässt sich leicht richten.«
    »Die Pfosten wären wahrscheinlich von dem Ast inzwischen ganz umgedrückt worden, wenn Herr Tinotti nicht den Stacheldraht durchtrennt hätte«, sagte ich munter, nahm mir noch ein Stück Streuselkuchen – und hätte mir am liebsten nachträglich auf die Zunge gebissen. Aber gesagt war gesagt.
    Oma reagierte natürlich wie auf Knopfdruck. »Den Draht durchtrennt? Ich habe mich wohl verhört. Dieser Dings, dieser Italiener hat meinen Zaun kaputt gemacht? Das ist ja wohl – mir fehlen die Worte. Ja, Herrgott, wo leben wir denn eigentlich?«
    »Aber wenn er den Draht nicht durchgeschnitten hätte, wäre der
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