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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition)
Autoren: Klaus Modick
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bedenklich, weil der Iwan nun die Amerikaner überholt habe, obwohl die sich für ihre Raketen unseren großen Ingenieur Wernher von Braun »geangelt« hätten. Höchst bedenklich sogar. Und meine Mutter hatte gefragt, wo das bloß alles enden solle. Im Sputnik musste man sich wohl so ähnlich vorkommen wie im Kettenkarussell, nur dass ich nicht den ganzen Globus überblicken konnte, sondern nur den Ostermarkt, vorbeiwischende Kirchtürme, Fabrikschlote, Baumkronen und Dächer.
    Danach hatte ich noch vier Groschen, mit denen keine weiteren Weltraumabenteuer finanzierbar waren. Was tun? Spardose? Für hungernde Negerkinder in Afrika spenden? Für 30 Pfennig am Kiosk ein jugendgefährdendes Piccolo-Heft kaufen? Sigurd, der ritterliche Held oder Nick, der Weltraumfahrer, der den Russen Lichtjahre voraus war? Galten als Schmutz und Schund wie die Musik an der Raupe. Sigurd war eine Art Elvis des Mittelalters. Am Kiosk gab es auch fotokünstlerische Magazine für Freikörperkultur, die mich noch mehr als Sigurd, Akim oder Nick interessierten. Aber mit solchen Sexbomben unter der Bettdecke mit Taschenlampe erwischt zu werden? Oh Mann. Für vier Groschen waren die auch gar nicht zu haben.
    Dann vielleicht einfach mal in den Plastikblumentopf greifen, den mir eine verhärmte Frau in weißem Kittel unter die Nase hielt. Ein Los 30 Pfennig, fünf Lose eine Mark. Lotterien und Glücksspiele aller Art waren in unserer Familie verpönt. Unseriös.
    Als Ausnahme galt allerdings die Fernsehlotterie, weil sie ihre Wurzeln in der Zeit der Berliner Blockade von 1948 hatte. Damals, so mein Vater, hätten nämlich die Rosinenbomber der Alliierten blasse, abgemagerte Kinder aus dem isolierten West-Berlin in den freien Westen ausgeflogen, damit die armen Gören dort ein paar erholsame Ferienwochen auf dem Lande unter dem Motto Ein Platz an der Sonne erleben konnten. Ich schloss daraus, dass in Berlin immer schlechtes Wetter war, und empfand ein ungeheures Glücksgefühl, im Westen zu wohnen. Akzeptabel waren auch Preisausschreiben, zumal meine Mutter einmal nach korrekter Ausfüllung eines Kreuzworträtsels und Einsendung des Lösungsworts Pantoffelheld einen Original Teppichdackel der Firma Leifheit gewonnen hatte. Nach einigen Probeläufen erwies sich das stromlose Gerät zwar dem Staubsauger Moulinex als hoffnungslos unterlegen und wurde in die hinterste Ecke der Besenkammer verbannt, aber immerhin beziehungsweise, wie mein Vater anerkennend sagte, immerhinque: 4. bis 10. Preis!
    Also drückte ich der Losverkäuferin, die so abgezehrt aussah, als sei auch sie mit einem Rosinenbomber aus Berlin evakuiert worden, drei Groschen in die Hand und griff beherzt in den Plastikblumentopf. Während ich das Los irgendwie feierlich aufriss, gab ich mich keinen übertriebenen Illusionen hin. Niete war die Regel, Trostpreis à la Luftballon oder Plastiktulpe die Ausnahme. Und nun aber das! Hauptgewinn! Freie Auswahl! Ich starrte der Losverkäuferin ungläubig ins graue Gesicht. Eine Märchenfee.
    Wie in Trance näherte ich mich der Losbude, die natürlich keine Bude war, sondern ein Lkw-Anhänger, auf dem eine Regalwand mit den Gewinnen aufgebaut war. Über ein paar Holzstufen stieg ich auf die Ladefläche, die sich nun in eine glanzvolle Bühne verwandelte, auf der ich als Hauptdarsteller, wenn nicht gar König agierte. Der Losbudenchef hatte schwarze, mit Frisiercreme oder Wasser nach hinten gebügelte Haare und ein verwegenes Schnurrbärtchen. Er begrüßte mich mit Handschlag, nahm mir das Los aus der Hand, hielt es wie einen Pokal in die Höhe und brüllte dann durchs Gedröhn der Karussells und Fahrgeschäfte in sein Mikrofon: »Und schon wieder die freie Auswahl, Damen und Herren! Einfach sensationell! Hier gewinnt jedes dritte Los! Greifen Sie zu, kommen Sie ran! Zwingen Sie das Glück!«
    Ich hatte das Gefühl, dass sämtliche Besucher des Ostermarkts ehrfürchtig, wenn nicht gar neidisch zu mir aufblickten.
    »Treffen Sie Ihre Wahl, junger Mann«, trompetete der Herr der Gewinne.
    Freie Auswahl also. Gar nicht so leicht. Das Teeservice für sechs Personen? Der Riesenteddybär, der brummen kann? Die Ritterrüstung mit Schwert? Der Schwarzwälder Schinken? Das Modelleisenbahnstartpaket von Fleischmann? Der japanische Kimono? Die Puppenstube mit Einbauküche? Das Edelstahlbesteck?
    »Kommen Sie ran, Damen und Herren.«
    Die elektrische Kaffeemühle? Das große Paket der Gesellschaftsspiele? Die Negerpuppe, die Mama sagt? Das Topfsortiment
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