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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition)
Autoren: Klaus Modick
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Musik glaubte ich ihr sogar, weil auch mich die Musik mehr als alles andere zur Raupe zog. Die Mädchen ignorierten mich ja schnöde, lieferten nur eine Vorlage, ein feuchtes Traumbild; heute Abend würde es vielleicht Sabines spitzer BH sein. Und die strunzenden Knatterprotze hatten für mich nur ein verächtliches Grinsen übrig. Aber die Musik war echt. Den lässigen Jungs an der Raupe mochte der Schmalz aus den Tollen tropfen, aber was aus den Lautsprechern klöterte, hatte nichts mehr gemein mit den schmalzigen Schlagern aus dem Radio, die meine Mutter beim Bügeln oder Marmeladekochen inbrünstig mitsang. Sie schmolz dahin bei Drei weiße Birken von Monika & Peter, Schöner fremder Mann von Connie Francis, Mit 17 hat man noch Träume von Peggy March oder Ramona von den Blue Diamonds, während auf der Raupe Bill Haley, Chuck Berry, Buddy Holly, Ricky Nelson und Chubby Checker Töne anschlugen, die wild, aufsässig, aufreizend waren. Rock ’n’ Roll. Diese Negermusik war unmanierlicher Lärm, war jugendgefährdend, war Schmutz, Schund und Aufruhr. Gehörte sich nicht. Unerhört!
    Der König der musikalischen Aufsässigkeit war Elvis Presley, dessen Hüftwackeln zu Unzucht animierte. Als er vor drei Jahren zur US-Armee eingezogen worden und als GI in Bremerhaven gelandet war, um die amerikanischen Besatzungstruppen zu verstärken, erregte das den Un-, wenn nicht gar Widerwillen meiner Mutter, die in Elvis nur den aasig lächelnden Verführer sah.
    Mein Vater verstieg sich allerdings zu einer bemerkenswert tückischen Theorie. Er begrüße es durchaus, wenn solche Typen mit ihrer Hottentottenmusik den freien Westen infiltrierten und jeden Rest guten Geschmacks verhunzten. Denn dergleichen Lärm wirke wie eine Art akustischer Schutzwall gegen die Expansionsgelüste des Iwan. Der Russe an sich habe nämlich im Gegensatz zu diesen Schreihälsen Seele, wovon er, mein Vater, weiß Gott ein Lied singen könne, habe er doch während des Kriegs immer wieder gern und nicht ohne Ergriffenheit den tief empfundenen Gesängen russischer Gefangener gelauscht. Damit wolle er natürlich nichts gegen die Westalliierten gesagt haben, schon gar nicht gegen die Amerikaner. Die hätten nämlich inzwischen begriffen, dass nicht der Russe, sondern der Deutsche der bessere Verbündete war, und deshalb hätten die Amerikaner sich spätestens mit der Berliner Luftbrücke von Besatzern zu Beschützern gemausert. Und als solche machten sie auch durchaus anständige Musik. Er denke da etwa an Bill Ramseys Pigalle, schon irgendwie köstlich, oder Gus Backus mit seinem alten Häuptling der Indianer oder auch Billy Mo, dieser ja durchaus drollige Neger mit seinem Tirolerhut. Dergleichen habe Humor und Schmiss und gehe ins Ohr. Ansonsten sei Musik seinem eher naturwissenschaftlichen Naturell wesentlich fremd, und im Übrigen habe er von Krieg und Russen die Schnauze voll. Gestrichen. Und damit verlor er den Faden.
    Und neulich erst hatte sogar meine Mutter ein Faible für Elvis Presley gezeigt, wenn auch unfreiwillig. Im Radio lief das Volkslied Muss i denn, das Elvis Presley am Ende seiner Dienstzeit als eine Art Abschiedsgruß an Good Old Germany aufgenommen hatte. »Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus«, trällerte meine Mutter beim Kartoffelschälen versonnen mit, »Städele hinaus, u-hund du mein Schatz bleibst hier«, und ließ sich sogar zu der Bemerkung hinreißen, der Sänger habe eine wunderbare Stimme. Samtweich.
    »Ja, Mutti«, sagte Hanna triumphierend, »hat er auch. Das ist nämlich Elvis Presley.«
    Worauf meine Mutter das Kartoffelschälmesser fallen ließ und sich die Hand vor den Mund schlug, als hätte man sie beim Absingen des Horst-Wessel-Lieds oder der Becher-Hymne ertappt.
    Jedenfalls trollte ich mich von der Raupe und schlenderte mit düsteren Rachegelüsten für die Schmach, die Hanna mir zugefügt hatte, über den Ostermarkt. Mein 5-Mark-Stück investierte ich in »den atemberaubenden Nervenkitzel auf höchstem Niveau« namens Wilde Maus, eine Rostbratwurst mit Brötchen und Senf, zwei Karambolagetouren mit dem Auto-Scooter, das Round Up, in dem »Fliehkraft die Schwerkraft besiegt«, und zu guter Letzt in die Schwerelosigkeit des Kettenkarussells.
    Vor einigen Tagen hatten die Russen eine Weltraumkapsel ins All geschossen, in der kein dressierter Hund mehr saß, sondern ein lebender Mensch. Sputnik! Juri Gagarin! Schon enorm, hatte mein Vater teils schockiert, teils respektvoll gemurmelt, aber doch auch
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