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Kennen Wir Uns Nicht?

Kennen Wir Uns Nicht?

Titel: Kennen Wir Uns Nicht?
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Welt stehen, wenn sie nicht darauf aufpasste. »Ich habe einen Termin bei einem Spezialisten wegen Roly.«
    »Roly?«
    »Von Smokys letztem Wurf, Schätzchen.« Mum wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu. »Du erinnerst dich doch an die kleine Roly.«
    Ich weiß nicht, wie Mum darauf kommt, dass ich mir die Namen ihrer Hunde merken kann. Es sind mindestens zwanzig und alle Whippets, und jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, scheint da ein neuer zu sein. In unserer Familie hatte es nie Haustiere gegeben, bis zu jenem Sommer, als ich siebzehn war. Im Urlaub in Wales kaufte Mum spontan einen Whippet-Welpen. Und über Nacht wurde daraus eine wahre Manie.
    Ich mag Hunde. Eigentlich. Außer, wenn einen sechs auf einmal anspringen, sobald man die Haustür aufmacht. Und jedes Mal, wenn man sich auf das Sofa oder einen Sessel setzen will, sitzt da schon ein Hund. Außerdem sind die größten Geschenke unterm Weihnachtsbaum immer für die Hunde.
    Mum hat ein Fläschchen homöopathische Notfalltropfen aus ihrer Tasche hervorgeholt. Sie träufelt sich drei Tropfen auf die Zunge, dann atmet sie scharf aus. »Der Verkehr auf dem Weg hierher war fürchterlich«, sagt sie. »Die Menschen in London sind so aggressiv. Ich hatte eine sehr unangenehme Auseinandersetzung mit einem Mann in einem Lieferwagen.«
    »Was ist passiert?«, sage ich, weiß aber schon, dass Mum den Kopf schütteln wird.
    »Sprechen wir lieber nicht davon, Schätzchen.« Sie verzieht schmerzhaft das Gesicht. »Vergessen wir es einfach.«
    Mum möchte über so vieles lieber nicht sprechen. Etwa darüber, wer an Weihnachten meine neuen Sandalen so zugerichtet haben mag. Oder über die regelmäßigen Beschwerden wegen der Hundehaufen in unserer Straße. Oder - um ehrlich zu sein - über Scherereien ganz allgemein.
    »Ich habe eine Karte für dich«, sagt sie und wühlt in ihrer Tasche herum. »Wo ist sie nur? Von Andrew und Sylvia.«
    Ratlos starre ich sie an. »Von wem?«
    »Andrew und Sylvia von nebenan!«, sagt sie, als wäre es selbstverständlich. »Unsere Nachbarn!«
    Unsere Nachbarn nebenan heißen nicht Andrew und Sylvia. Sie heißen Philip und Maggie.
    »Mum ...«
    »Jedenfalls lassen sie dir liebe Grüße bestellen«, unterbricht sie mich. »Und Andrew braucht deinen Rat. Er will zum Skilaufen.«
    Skilaufen? Ich kann doch gar nicht Skilaufen.
    »Mum ...« Ich fasse mir an den Kopf, vergesse meine Verletzung und zucke zusammen. »Was redest du da?«
    »Da bin ich wieder!« Maureen hält ein Glas Orangensaft in der Hand. »Doktor Harman will gleich mal nach Ihnen sehen.«
    »Ich muss los, Schätzchen.« Mum steht auf. »Ich hab den Wagen auf einem Wucherparkplatz abgestellt. Und erst die City-Maut! Acht Pfund musste ich bezahlen!«
    Das stimmt doch auch nicht. Die City-Maut kostet keine acht Pfund. Ich bin mir sicher, dass sie nicht mehr als fünf Pfund beträgt, auch wenn ich nie Auto fahre ...
    Mir ist ganz flau im Magen. Mein Gott, Mum wird langsam dement. Daran muss es liegen. Sie wird senil, und das mit vierundfünfzig. Ich muss mal mit einem der Arzte über sie sprechen.
    »Ich komme später mit Amy und Eric wieder«, sagte sie auf dem Weg zur Tür.
    Eric! Sie gibt ihren Hunden wirklich sonderbare Namen.
    »Ist gut, Mum.« Ich lächle sie an, um sie aufzuheitern. »Kann es kaum erwarten.«
    Ich bin ziemlich aufgewühlt, als ich meinen Saft trinke. Wahrscheinlich hält jeder seine Mutter für ein bisschen verrückt. Aber das eben war richtig verrückt. Was ist, wenn sie in ein Heim muss? Was soll ich dann bloß mit ihren Hunden machen?
    Das Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Gedanken, und ein junger Arzt mit dunklen Haaren kommt herein, gefolgt von drei weiteren Leuten in weißen Kitteln.
    »Hallo, Lexi«, sagt er forsch aber freundlich. »Ich bin Dr. Harman, einer der Neurologen hier im Haus. Das sind Nicole, eine Stationsschwester, Diana und Garth, unsere beiden Assistenzärzte. Wie geht es Ihnen?«
    »Gut! Nur meine linke Hand fühlt sich ein bisschen komisch an«, räume ich ein. »Als hätte ich daraufgelegen und jetzt funktioniert sie nicht mehr richtig.«
    Als ich meine Hand hebe, um sie ihm zu zeigen, staune ich einmal mehr über meine sensationelle Maniküre. Ich muss Fi dringend fragen, wo wir gestern Abend waren.
    »Okay.« Der Doktor nickt. »Das sehen wir uns gleich an. Sie werden wahrscheinlich Physiotherapie brauchen. Aber vorher möchte ich Ihnen ein paar Fragen stellen. Haben Sie Geduld mit mir, falls diese Ihnen allzu
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