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Kennen Wir Uns Nicht?

Kennen Wir Uns Nicht?

Titel: Kennen Wir Uns Nicht?
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gut gekannt. Er war nie sonderlich oft da und kam mir eher wie ein Onkel vor. So ein lustiger, spitzbübischer Onkel, der einem zu Weihnachten Süßigkeiten mitbringt und nach Schnaps und Zigaretten riecht.
    Und es war auch kein allzu großer Schock, als er starb. Er hatte eine komplizierte Bypass-Operation, und alle wussten, dass die Chancen fifty-fifty standen. Aber trotzdem hätte ich heute dort sein sollen, zusammen mit Mum und Amy Ich meine, Amy ist erst zwölf, und ängstlich ist sie außerdem. Plötzlich sehe ich sie vor mir, wie sie da neben Mum im Krematorium sitzt und ihren heißgeliebten blauen Löwen an sich drückt, todernst unter ihrem Pony. Sie ist noch zu klein und sollte nicht vor dem Sarg ihres Vaters stehen, ohne dass die große Schwester ihre Hand hält.
    Während ich dort liege und mir vorstelle, wie sie versucht, tapfer und erwachsen auszusehen, kullert mir eine Träne über das Gesicht. Heute wurde mein Dad zu Grabe getragen, und ich liege im Krankenhaus, mit Kopfschmerzen und einem gebrochenen Bein oder irgendwas. Und wahrscheinlich hat der Räuber alle meine Kreditkarten geklaut und mein Telefon und meine neue Handtasche mit den Troddeln auch.
    Außerdem hat mich mein Freund gestern Abend versetzt. Und plötzlich wird mir klar, dass mich gar keiner besucht. Wo sind meine besorgten Freunde und Verwandten, die um mein Bett herumsitzen und meine Hand halten sollten?
    Na ja. Mum war vermutlich mit Amy bei der Beerdigung. Und Loser Dave kann mir sowieso gestohlen bleiben. Aber Fi und die anderen. Wo sind sie? Wenn ich daran denke, wie wir alle zusammen Debs besucht haben, als sie sich ihren eingewachsenen Fußnagel hat entfernen lassen. Wir haben praktisch auf dem Fußboden campiert und ihr Kaffee von Starbucks und Zeitschriften mitgebracht und ihr eine Pediküre spendiert, als alles abgeheilt war. Nur für einen Fußnagel.
    Wohingegen ich bewusstlos war, mit Tropf und allem, was dazugehört. Aber das scheint wohl niemanden zu interessieren.
    Na, toll. Find ich richtig ... super.
    Die nächste dicke Träne kullert über mein Gesicht, als die Tür aufgeht und Maureen wieder hereinkommt. Sie trägt ein Tablett und eine Tüte, auf der mit einem Filzer »Lexi Smart« geschrieben steht.
    »Oje!«, sagt sie, als sie sieht, dass ich an meinen Augen herumwische. »Haben Sie Schmerzen?« Sie reicht mir das Tablett und einen kleinen Becher mit Wasser. »Das wird Ihnen helfen.«
    »Vielen Dank.« Ich schlucke die Pille herunter. »Aber das ist es nicht. Es ist mein Leben.« Hoffnungslos spreize ich die Hände. »Es ist totaler Mist. Von vorne bis hinten.«
    »Das ist es sicher nicht«, sagt Maureen beschwichtigend. »Es mag schwierig aussehen ...«
    »Glauben Sie mir. Es ist schlimm.«
    »Bestimmt ...«
    »Meine sogenannte Karriere fuhrt ins Nirwana, mein Freund hat mich gestern Abend versetzt, ich hab kein Geld mehr. Und aus meinem Waschbecken tropft braunes Rostwasser in die Wohnung unter mir«, füge ich hinzu. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken, als es mir wieder einfällt. »Wahrscheinlich werden mich meine Nachbarn verklagen. Und mein Vater ist gerade gestorben.«
    Maureen schweigt. Sie scheint aus dem Konzept gebracht.
    »Nun, das klingt alles ziemlich ... schwierig«, sagt sie schließlich. »Aber ich denke, es kommt bestimmt bald alles wieder in Ordnung.«
    »Das hat meine Freundin Fi auch gesagt!« Plötzlich erinnere ich mich sehr genau an Fls leuchtende Augen im Regen. »Und sehen Sie mich an: Ich bin im Krankenhaus gelandet!« Verzweifelt deute ich auf mich selbst. »Inwiefern ist da alles besser geworden?«
    »Ich ... weiß nicht so genau.« Maureens Blicke zucken hilflos hin und her.
    »Immer wenn ich denke, alles ist absolute Scheiße ... wird es nur noch beschissener!« Ich putze mir die Nase und stoße einen schweren Seufzer aus. »Wäre es nicht schön, wenn sich ein Mal, nur ein einziges Mal, alles im Leben wie von Zauberhand selbst klären könnte?«
    »Nun. Wir können alle nur hoffen, oder?« Maureen lächelt mich mitfühlend an und hält mir die Hand hin, um den Becher entgegenzunehmen.
    Ich gebe ihn zurück, und dabei fallen mir plötzlich meine Fingernägel auf. Was ist das?
    Meine Nägel waren immer abgekaute Stummel, die ich verstecken musste. Aber diese hier sehen fantastisch aus. Ganz sauber und in hellem Rosa lackiert... und lang. Staunend blinzle ich sie an und frage mich, wie das angehen kann. Waren wir gestern Abend noch bei einer Maniküre, und ich weiß nichts
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