Kein Erbarmen
seinen Hund, das wäre ja furchtbar.«
»Vielleicht«, sagte Tabori ganz ruhig. »Vielleicht aber auch nicht. Damaschke wird nichts sagen, und vielleicht bleibt uns nicht viel Zeit, falls der Kollege verletzt ist und da irgendwo liegt. Ich möchte, dass ihr einen von uns laufen lasst, lasst Lepcke wenigstens nachsehen, ich bleibe als Geisel. Jetztkommt schon, sonst macht ihr euch vielleicht mitschuldig an noch einem Mord.«
»Netter Versuch«, grinste Janin. »Aber so läuft das nicht, das könnt ihr vergessen.«
Tabori blickte zu Lepcke.
»Sie haben keine Ahnung von Sommerfeld«, improvisierte Lepcke. »Sie wissen gar nichts. Und ich schätze mal, sie haben auch keine Ahnung, was mit ihrer Freundin passiert ist, sie machen sich nur wichtig. Es gibt auch keinen Abschiedsbrief, wetten?«
Das war einer zu viel, dachte Tabori. Aber da schoss bereits Janins Faust über den Tisch und erwischte Lepcke seitlich am Hals, dass sein Kopf zurückflog und er Tabori mit sich gegen die Rückenlehne riss.
»Du arroganter Sack! Aber so seid ihr alle … Wir wissen nichts, klar, wir sind ja so doof! Und es gibt auch keinen Abschiedsbrief, natürlich, das haben wir uns wahrscheinlich nur eingebildet! Wie wir uns alles nur einbilden!«
Mit zwei Schritten war sie an dem offenen Kamin. Sie nahm einen Zettel vom Sims und klatschte ihn auf den Couchtisch.
»Lies!«, forderte sie Lepcke auf. »Und lies laut, damit dein Kollege auch was davon hat.«
Lepcke beugte sich vor, diesmal folgte Tabori seiner Bewegung von allein, aus den Augenwinkeln sah er, wie Güngör sich die Mündung ihrer Waffe an die Stirn drückte.
»Paff!«, sagte sie leise
Im gleichen Moment fing Lepcke an zu lesen.
»
Ich habe das alles nie gewollt. Ich wollte wirklich nur mit ihr reden. Aber sie ist gleich total ausgeflippt und hat versucht
wegzurennen. Es war ein Unfall! Sie ist über die Bunkerkante gestürzt und war bewusstlos. Ich habe nichts weiter gemacht, als sie in den Bunker zu ziehen, falls die Soldaten noch mal zurückkommen würden. Ich habe auch noch ein paar Mal nach ihr geguckt. Sie war immer noch bewusstlos und hat geblutet. Und dann war plötzlich der Fuchs da. Ich habe dann die ganze Nacht vor dem Bunker gesessen und aufgepasst, dass er nicht an sie rankonnte
…
«
»Ihr habt den Falschen gefoltert«, rutschte es Tabori heraus. »Kapiert ihr es jetzt? Respekt war es gar nicht. Oder hattet ihr das inzwischen auch gewusst und wolltet jetzt euren Fehler korrigieren und habt deshalb …«
Er brach mitten im Satz ab, als Güngör die Waffe über den Tisch hinweg auf seine Stirn richtete: »Paff!«
»Lies weiter«, forderte Janin Lepcke auf.
»
Als Respekt endlich kam, ist er in den Bunker. Ich habe mich noch gewundert, dass er so lange wegbleibt, aber als er dann wiederkam, hat er gesagt, sie wäre tot. Ich weiß nicht, ob das stimmte. Aber ich bin erst in Hannover darauf gekommen, dass vielleicht er sie umgebracht hat, vielleicht hat sie noch gelebt. Respekt war ein Schwein, das weiß jeder. Und was er da mit den Anwärterinnen gemacht hat, hat er auch mit mir gemacht. Aber es konnte doch nicht immer so weiter gehen. Irgendjemand musste etwas tun! Deshalb habe ich ihn in den Heizungskeller gebracht. Ich wollte, dass er einmal selber spürt, wie man sich als Opfer fühlt. Aber ich wollte ihn nicht umbringen! Ich wollte nur, dass er Angst kriegt. Er sollte nicht sterben, das war nie geplant. Aber jetzt ist sowieso alles vorbei. Ich weiß, dass die Kollegen schon hinter mir her sind. Es hat keinen Zweck mehr, ich sehe nur noch einen Ausweg.
PS. Ich möchte mich bei Güngör und Janin entschuldigen. Sie können nichts dazu, es ist alles meine Schuld.
«
Lepcke blickte hoch. »Was soll der letzte Satz? Was soll das, dass ihr nichts dazu könnt? Was meint er damit?«
Güngör und Janin blickten sich an.
Tabori sah, wie Güngör schluckte und anfing, lautlos zu weinen. Er räusperte sich. »Es geht um das, was in der Ausbildung passiert ist, nehme ich an. Die permanenten Übergriffe, wie man euch erniedrigt, sexuell missbraucht, vergewaltigt und gefoltert hat, wir wissen inzwischen, was da los war.«
»Respekt war ein Schwein«, wiederholte Janin den Satz aus Damaschkes Abschiedsbrief. Dann fasste sie nach Güngörs Hand. »Es ist egal, wir können es ihnen genauso gut auch erzählen.«
27
»Wir hatten das geplant«, sagte Güngör leise, »wir beide, Janin und ich.« Sie blickte starr auf einen Punkt an der Wand hinter Lepcke und Tabori.
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