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Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Isabel Morf
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der Geburt dabei. Oft konnte er seiner Frau helfen, sie
beruhigen, ihr das Gefühl geben, dass sie die Strapazen nicht allein durchstehen
musste. Aber manchmal störten diese Väter auch. Wurden bleich. Kippten um. Hielten
es schwer aus, dass sich ihre sonst hübsche und fröhliche Frau in ein zitterndes,
brüllendes, fremdes Wesen verwandelte. Barbara Flückiger ging die Szene aus ›Anna
Karenina‹ durch den Kopf, als Kitty ihr erstes Kind bekommt, was sich über zweiundzwanzig
Stunden hinzieht. Ihr Mann Lewin hat in seiner Qual jedes Zeitgefühl und jeden Bezug
zur Wirklichkeit verloren, hört die schrecklichen Schreie seiner Frau aus dem Schlafzimmer,
sieht ihr verzerrtes Gesicht und ist völlig fertig: ›Er wollte schon längst kein
Kind mehr.‹ Herr Attinger gehörte insofern zur vernünftigen Sorte, dachte die Hebamme,
als er von Anfang an erklärt hatte, er würde draußen warten. Beim ersten Kind habe
er es versucht, hatte er erzählt, ohne in Details zu gehen. Er hatte verlegen gelacht
und abgewinkt. »Klar, das schaffen wir auch zu zweit«, hatte Barbara zu Nadine Attinger
gesagt.
     
    Beatrice Meier sah sich in der Eingangshalle
des Spitals um. Dort saß er, der Vater, in einem der Ledersessel, und schaute starr
zum Eingang in die Gebärabteilung. Seine Krawatte saß schief, seine blonden Haare
waren zerrauft. Er sprang auf, als Beatrice auf ihn zu kam. Er war groß und hager,
wirkte unbeholfen. »Wie steht es? Ist es schon da?«
    »Bald«,
gab Beatrice Auskunft. »Alles läuft gut.«
    »Hat sie
Schmerzen?«
    Beatrice
gab ihm einen erstaunten Blick. »Selbstverständlich hat sie Schmerzen«, sagte sie.
Hatte der wirklich so wenig Ahnung?
    »Ja, klar«,
sagte Stefan Attinger verlegen. »Ich meinte nur, hält sie es aus?«
    »Sie muss«,
sagte Beatrice fest. »Alle halten es aus.« Plötzlich kam sie sich gar nicht mehr
wie eine unwissende Schülerin vor, sondern fühlte sich diesem nervösen, hilflosen
Mann angenehm überlegen. »Es kommt schon gut«, fügte sie freundlich hinzu. »Machen
Sie sich keine Sorgen.«
    Auf dem
Glastisch bei Attingers Sessel standen fünf leere Kaffeetassen.
    »Vielleicht
sollten Sie etwas Beruhigendes trinken«, schlug sie mütterlich vor. »Soll ich Ihnen
einen Kamillentee holen?«
    »Danke,
nicht nötig.« Attinger grinste plötzlich jungenhaft. »Wenn das Baby da ist, gibt’s
Champagner!«
    Beatrice
entschied, dass man den Mann sich selbst überlassen konnte. »Ich halte Sie auf dem
Laufenden«, versprach sie und ging wieder in die Gebärabteilung, durch die Glastür,
auf die ein großer Storch gemalt war, der ein Babybündel im Schnabel trug. Beatrice
fand das ein wenig altmodisch, aber, na ja, man konnte wohl schlecht eine gebärende
Frau da draufmalen. Welche Frau hätte dann noch Lust, ein Kind zu bekommen?
    Attinger
sah ihr hinterher. Wahrscheinlich war wirklich alles in Ordnung. Seit morgens um
acht Uhr war er hier. Hatte Zeitung gelesen, ohne etwas mitzubekommen. Einen Kaffee
getrunken. Hatte einen Spaziergang gemacht, aber schon nach zehn Minuten hatte es
ihn zurückgezogen, auch wenn er wusste, dass es nicht so schnell gehen würde. Einen
weiteren Kaffee hinuntergestürzt. Hatte auf dem Handy Tetris gespielt. Noch nie
so schlecht wie heute. Seine Mutter hatte angerufen. »Noch nichts«, hatte er gesagt.
»Ich warte.« Zum x-ten Mal hatte sie wissen wollen, wie das Kind heißen würde. Nadine
und er hatten natürlich einen Mädchen- und einen Jungennamen ausgesucht, behielten
sie aber für sich. »In ein paar Stunden weißt du es«, sagte er genervt. »Nein, es
ist nicht nötig, dass du herkommst.« Das fehlte noch. Ja, Lotte sei bei Leon gut
untergebracht. »Ich werde mich melden.« Er klappte das Handy zusammen. Spitzte die
Ohren, aber kein Geräusch drang aus der Gebärabteilung. Keine verzweifelten Schmerzensschreie.
Ihm wurde flau. Als Lotte auf die Welt gekommen war … Besser nicht dran denken.
Er hatte sich geschämt, und es war noch jetzt eine quälende Erinnerung an den Moment,
da er das Gesicht der Hebamme über sich wahrgenommen und begriffen hatte, dass er
ohnmächtig geworden war. Vor Nadine hatte er sich geschämt. An ihm war es doch,
stark zu sein und ihr beizustehen. Sie hatten es niemandem erzählt.
    Er holte
sich noch einen Kaffee und ein Croissant. Wenn es nun den ganzen Tag dauerte? Die
Frau eines Kollegen hatte sechsunddreißig Stunden geboren, sechsunddreißig Stunden!
Abends musste er Lotte bei Leon, Nadines Bruder, abholen, da der morgen
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