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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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amüsiert dreinblickenden Augen suchten meine.
    »Big, in der Tat, aber ist er auch b-b-b-b-bad?«, fragte Jerry.
    »Bad to the bone«, vervollständigte ich seinen Retro-Rock-Witz.
    »Sechs Uhr heute Abend«, sagte sie, plötzlich durch und durch Geschäftsfrau. »Sei pünktlich.«

Zwei
    Im Laufe der letzten vierzig Jahre war aus der U.S. 80 ›The Strip‹ geworden – Gebrauchtwagenhändler, taquerias, Tabledance-Bars, Massagesalons, casas de cambio, wo man Pesos gegen Dollar oder Dollar gegen Pesos tauschen konnte, und die Rein-Raus-Quickie-Motels. Niemand spricht mehr von der U.S. 80. Es gibt jetzt einen Namen: Mesa Street. Vom DMZ, also von der anderen Seite der Mesa aus betrachtet, wirkt das Baron Arms wie eine Sandburg mit Hanglage. Der Architekt, der es in den Fünfzigern entworfen hatte, musste ein Mann mit Gespür gewesen sein. Das Gebäude fügt sich perfekt in die Umgebung El Pasos ein – es sieht aus wie ein natürlicher Ausläufer der terrakottafarbenen Berge. Genauso gut hätte es auch tausend Jahre zuvor von den Anasazi erbaut werden können. Folglich ist es gar nicht mal so abwegig, sich die Mieter als Höhlenbewohner vorzustellen. Ich hatte die Anasazi schon immer für ein überaus wachsames, fast schon paranoides Volk gehalten, das sich in seinen auf hohen Felsvorsprüngen gelegenen, zugemauerten Halbhöhlen vor einem realen oder imaginären Feind verborgen gehalten hatte. Das Gleiche könnte man auch von vielen Bewohnern des Baron Arms behaupten. Auch sie versuchen, einer realen oder imaginären Bedrohung zu entkommen. In den meisten Fällen jedoch ist die Bedrohung real. Schmierige Anwälte, Privatdetektive auf der Suche nach Untergetauchten, Schuldeneintreiber, eifersüchtige Verflossene und vor sich hin murmelnde Psychotiker drücken sich in den Fluren, Laubengängen und auf Treppenabsätzen herum.
    Vom Balkon meines im dritten Stock gelegenen Apartments hat man einen Blick über die unendliche Wüste, mit einem Horizont, so weit entfernt, dass man glauben könnte, die Welt sei eine Scheibe. Über die weite Ebene hinweg kann man beobachten, wie sich Sandstürme entwickeln und den Himmel entlangschrammen. In der vor Hitze flirrenden Luft sieht das ferne Gebiet von El Malpais geriffelt aus, als wäre es auf dünnes Blech gemalt. Schon der reine Anblick dieses sich scheinbar endlos erstreckenden Ödlandes macht durstig. Weht dann noch ab und an heißer Wind den Sand herüber, möchte man fast für Regen beten.
    Ich hatte sechs Nachrichten auf dem AB, alle von Rosie Hildebrand. Es war immer die gleiche Botschaft: »Hey, Mister Manager, mit meiner verfluchten Terrine stimmt was nicht.« Terrine, so nannte sie ihre Toilette.
    Wahrscheinlich wieder mal verstopft, dachte ich. Allein die fünfundsiebzig Toiletten des Apartment-Komplexes garantieren mir mietfreies Wohnen. Die Leute zahlen Miete, also nehmen sie auch das Recht für sich in Anspruch, alles Mögliche in die Toilette zu stopfen. Letzte Weihnacht versuchte eine Zwanzigjährige einen vielleicht 16 Wochen alten Fötus hinunterzuspülen. Diesbezüglich nahm sie auch kein Blatt vor den Mund: »Bringen Sie Ihre Spirale her, Walkinghorse. Meine verdammte Toilette läuft nicht ab. Ich musste pinkeln und dann hatte ich diesen fiesen Krampf. Haben Sie mich nicht schreien hören? ›Oh fuck! Oh SCHEIßE!‹ Richtig laut. Mann, war ich am Abjammern. Dann rutscht mir auch noch mein Baby raus. Ich hab mein Baby verloren! Was für eine Tragik, das vergess ich nie. Hoffentlich hat mich bloß keiner gehört. Ich glaube nämlich, die beiden Schwulen nebenan sind Jesus-Typen oder so.« Als ich bei ihr eintraf, hatte sie bereits geduscht, trug abgeschnittene Levi’s und keinen BH unter ihrem Nashville-Pussy-T-Shirt. Sie war hübsch, wirkte jedoch für ihre zwanzig Jahre schon reichlich verbraucht. Eine Zwanzigjährige, die direkt auf die vierzig zuging.
    Sie sah alles andere als traurig aus. Vielmehr schien sie das Ganze bereits vergessen zu haben und sich darauf vorzubereiten, hinaus in die Welt zu gehen und sich in die nächste Katastrophe zu stürzen. Um mich abzusichern, rief ich die Cops, und die brachten Leute von der Gerichtsmedizin mit. Die von der Spurensicherung zogen den blutigen Klumpen aus dem Abflussrohr. »Frohe Weihnachten, Tiny Tim«, begrüßte Ted Lopez von der Spurensicherung den dunklen Winzling, der eher aussah wie ein überfahrenes Nagetier und nicht wie etwas, was eines Tages sprechen und laufen kann und möchte, dass seine Meinung
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