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Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Titel: Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
Autoren: Mina Wolf
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diese Spontanaktionen haben mich stets irgendwohin gebracht«, kontere ich. Ha! Da war es, ein kurzes Zucken der Verunsicherung in ihrem sonst wie aus Stein gemeißelten Gesicht. »Frau Kern«, beginne ich, ohne sie zu Wort kommen zu lassen. »Ich bin aus einem ganz bestimmten Grund hier. Wie Sie sicherlich gemerkt haben, ist es mein Ziel, Fuß in der Branche zu fassen, und ich wollte jetzt wissen, wie es langfristig um mich bei der Stunning Looks bestellt ist. Habe ich hier eine Zukunft? Werde ich irgendwann einmal mehr als nur die Kolumnistin sein dürfen? Kriege ich eine Chance? Das sind Dinge, die ich genau jetzt wissen muss.«
    Evelyn Kern mustert mich abschätzend und zieht dann eine schmale, fein nachgestrichelte Augenbraue hoch. »Sie wollen eine Festanstellung?«
    »Ich würde mich auch vorerst mit einer mehrmonatigen Praktikumsstelle zufriedengeben, falls diese irgendwohin führen sollte«, antworte ich ernst.
    Die Chefredakteurin steht auf und umrundet ihren Schreibtisch, dabei streichen ihre Fingerspitzen über die Tischplatte.»Frau Schäfer, ich muss Ihnen gestehen, dass ich mich ohnehin die nächsten Tage bei Ihnen gemeldet hätte, um genau dieses Thema zu besprechen. Aber da Sie nun schon mal hier sind …« Sie verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich an ihren Tisch. »Es ist tatsächlich eine Stelle bei uns frei geworden, bei deren Besetzung ich Sie in Erwägung gezogen habe. Natürlich fehlt es Ihnen an Erfahrung und auch am notwendigen Handwerkszeug. Aber – und das gefällt mir an Ihnen – Sie haben Biss, und Sie sind hartnäckig. Und das sind beinahe noch wichtigere Eigenschaften, um das von Ihnen gesteckte Ziel erreichen zu können.«
    Wow. »Um welche Position würde es sich denn handeln?«, frage ich erstaunt.
    »Um die einer Textredakteurin. Das ist es doch, was Sie begehren, oder täusche ich mich?«
    Mein Herz beginnt heftig gegen meine Rippen zu schlagen, mein Puls beschleunigt sich augenblicklich. »Nein, das ist genau das, was ich mir vorstelle!«
    »Ihnen ist aber hoffentlich klar, dass ich von meinen Angestellten absolute Höchstleistungen erwarte!?«
    »Ich glaube, das wird heutzutage überall erwartet – da ist die Stunning Looks nichts Besonderes«, wage ich zu erwidern.
    Nach dieser Ansage funkeln Frau Kerns Augen wieder und feuern wütende Blitze auf mich ab. Ich hingegen richte mich noch gerader in meinem Stuhl auf und halte ihrem Blick stand.
    »Sie wissen wohl immer noch nicht das Prestige zu würdigen, bei einem Magazin wie der Stunning Looks arbeiten zu dürfen! Andere junge Frauen lecken sich alle zehn Finger nach einer Tätigkeit für dieses Haus!«
    »Ja, das habe ich in letzter Zeit fast zu oft gehört«, seufze ich.
    »Zu Recht!«, donnert die Chefredakteurin los, »denn Ihnen fehlt es an Respekt, Frau Schäfer! Und es wird Zeit, dass Ihnen das mal jemand sagt!« Ihre Stimme wird laut und so scharf, dass sie glatt die Luft zerschneiden könnte – es hätte mich nicht gewundert, wenn sich die Strähnen ihrer glatt geföhnten Kleopatrafrisur in züngelnde Schlangen verwandelt hätten. » Ich habe eine harte Schulzeit hinter mir – der Druck, immer Klassenbeste zu sein und zu bleiben, war extrem. Ich habe ein perfektes Abitur gemacht, mich durch das Studium plus einige Auslandsjahre inklusive Praktika geackert und dabei das Leben einer Sklavin geführt! Ich habe mich überall durchbeißen müssen – mir ist im Gegensatz zu Ihnen nichts in den Schoß gefallen! Und Sie kommen hierher, als Putzfrau, ohne Studienabschluss, ohne Branchenkenntnis, und glauben tatsächlich, besser zu schreiben als eine ausgebildete Redakteurin. Das ist absolut respektlos und naiv!«
    Stille.
    »Und warum wollen Sie mir dann diese Stelle anbieten, wenn Sie scheinbar so wenig von mir halten?«, frage ich nach einer kurzen Gefechtspause.
    »Weil Sie Talent haben, verdammt!« Frau Kern wendet sich von mir ab, umrundet ihren Schreibtisch und lässt sich wieder in ihren ledernen Chefsessel fallen. Dann schlägt sie die Beine übereinander, und ihr Fuß wippt nervös auf und ab. Sie steht gewaltig unter Strom, und beinahe kann ich die Funken sprühen sehen. Wir mustern uns über die glänzende Tischplatte hinweg.
    Nach einer Weile atme ich tief aus und erhebe mich von meinem Stuhl. »Frau Kern, ich danke Ihnen für Ihr Angebot und werde darüber nachdenken.«
    »Tun Sie das. Aber glauben Sie mir, es auszuschlagen wäre wirklich ein Fehler. Überzeugen Sie mich endlich davon, dass Sie
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