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Kammerflimmern

Kammerflimmern

Titel: Kammerflimmern
Autoren: Even Anne; Holt Holt
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den Kopf. Sie hatte keinen Grund zu der Annahme, der Lungenflügel könnte punktiert sein.
    »Ich bin so weit«, sagte Sivert Sand.
    »Neunzig zu siebzig«, sagte Frid Moelv, ihre Stimme bekam einen ängstlichen Beiklang, als sie feststellte, dass der Blutdruck weiterhin fiel.
    Sara Zuckerman warf einen Blick auf den Röntgenschirm.
    »Verdammt!«
    Jetzt rief Sara Zuckerman: »Tamponade!«
    Die Herzwand hatte offenbar ein Loch. Sara wusste, dass das bei einem der beiden Versuche passiert sein musste, die Elektrode zu befestigen. So, wie sie jetzt saß, war die Befestigung korrekt. Sara hatte mehr solcher Eingriffe ausgeführt, als sie sich erinnern konnte, und alle ihre Instinkte warnten: Lass die Elektrode stecken! Rühr die Elektrode nicht an! Dreimal zuvor, nur drei entsetzliche Male zuvor, hatte sie ein Loch in das Herz eines Patienten gestochen. Dreimal von den Hunderten, vielleicht über Tausenden von Malen. Nur drei verdammte Male hatte sie das Herz des Patienten punktiert.
    Ohne fatale Konsequenzen. Sie hatte noch keinen Patienten auf dem Operationstisch verloren.
    Sara Zuckerman war achtundvierzig Jahre alt, und kein einziger Patient war ihr unter den Händen gestorben. Nach der OP mochte das passiert sein, einige Kranke waren eben nicht zu retten gewesen. Nicht einmal von der berühmten Sara Zuckerman. Aber sie waren nicht hier gestorben, diese Patienten, nicht hier, wo die Verantwortung bei ihr lag.
    Für einen Moment sah sie die Angst in Dr. Storelvs Augen.
    »Sollen wir noch einen Narkosearzt holen? Einen Interventionsradiologen?«, Frid Moelv fragte zum zweiten Mal.
    »Nein, nein!«
    Sara erkannte ihre eigene Stimme nicht.
    Erik Berntsen war ihr Patient.
    Sie war Prof. Dr. med. Sara Zuckerman, hatte 2001 den Mirowski-Preis erhalten, war die ehemalige Leiterin des Heart and Vascular Institute der Cleveland Clinic in Cleveland, Ohio, und jetzt Abteilungsoberärztin und Professorin an einem modernen und hervorragend ausgestatteten Krankenhaus in Norwegen.
    Ohne zu fragen, griff sie mit der rechten Hand nach einer groben Kanüle.
    »Ein Echo?«, fragte Dr. Storelv zaghaft. »Damit wir verifizieren können, dass eine Tamponade vorliegt?«
    Als ob sie dafür Zeit hätten , dachte Sara. Typisch norwegisch: Kontrollen. Überprüfungen.
    Inzwischen starben die Patienten.
    »Achtzig systolisch«, sagte Frid Moelv. »Der Druck fällt weiter.«
    Erik Berntsen war bewusstlos. Sara packte die grobe Kanüle, eine leere Spritze, und stach sie schräg unter das Brustbein. Bestimmt, sicher und brutal.
    Dunkelrotes Blut strömte hervor.
    Berntsen grunzte.
    Wie ein Schwein. Wie ein Schwein grunzte er, er war wieder da.
    »Hundert systolisch«, rief Frid Moelv. Der Blutdruck stieg.
    »Hundertzehn zu achtzig«, das rief sie fast vor Erleichterung, und Sara lächelte.
    »Zorro ist Papa geworden«, nuschelte Erik Berntsen. »Von acht Schnauzerbabys.«
    Sara Zuckerman gab keine Antwort. Sie legte einen Katheter in die Kanüle, die sie eben erst in den Herzbeutel des Patienten gerammt hatte.
    »Die Tamponade schließt sich wegen des Drucks«, sagte sie und richtete sich auf. »Um den ICD kümmerst du dich, Sivert. Mach eine Standard-Tachyprogrammierung. Eivind, diesmal schenken wir uns den Defibrillierungstest.«
    Die Tamponade machte es zum Risiko, den ICD jetzt vollständig zu testen.
    »Danke für die Hilfe, euch allen.«
    Sie verließ den OP und streifte Handschuhe und Kittel ab. Als sie die bleierne Röntgenschürze fallen ließ, merkte sie, dass sie schweißnass war. »Diese Karita wird keinen Fuß mehr in meinen OP setzen«, sagte sie laut.
    Als sich die Tür hinter ihr schloss, fiel ihr ein, dass sie kein Wort zum Patienten gesagt hatte, nachdem sie ihn ins Leben zurückgeholt hatte. Aber das spielte keine Rolle, sie hatte ihm ja doch nichts zu sagen.
2.48 a.m.
Upper East Side, Manhattan, NYC, USA
     
    Rebecca schlief schon lange nicht mehr. Ab und zu nickte sie ein, das schon, vor allem wenn das boshafte Morgenlicht durch die hohen Fenster kroch und verkündete, wie schmutzig es überall war. Dann kam es vor, dass sie die Augen schloss, um dann mit einem Ruck in ihrem Sessel hochzufahren und festzustellen, dass die Zeiger der Wanduhr weitergewandert waren. Sie träumte niemals in diesen Zeitphasen.
    Die Vorhänge, klebrig von Staub und Nikotin, wollten ihr nicht gehorchen, wenn sie versuchte, den Tag auszuschließen, indem sie die dicken geflochtenen Schnüre vom Messinghaken nahm. Vielleicht ließen sie ja auch
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