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Kalymnos – Insel deines Schicksals

Kalymnos – Insel deines Schicksals

Titel: Kalymnos – Insel deines Schicksals
Autoren: Anne Hampson
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zum ersten Mal hatte sie eine Vorstellung davon, wie der Mann, dem sie morgen begegnen sollte, wohl aussehen mochte. Es sollte nicht schwer sein, mit ihm handelseinig zu werden. Trotzdem würde sie gar nicht erst versuchen, ihn mit den zweihundert Pfund abzuspeisen, die ihr Onkel ihr mitgegeben hatte. Sie hatte beschlossen, von ihrem eigenen Geld etwas dazuzulegen.
    Als Julie schließlich mitsamt ihrem kleinen Koffer auf der Mole stand, machte sie sich zu Fuß auf die Suche nach einem Hotel. Ohnehin war weit und breit kein Taxi zu sehen -
    im Oktober verlor sich offensichtlich kein Fremder mehr hierher.
    Vor den Tavernen entlang der Uferpromenade saßen Männer, die sich unterhielten oder tavli spielten, wie die Griechen das Backgammon nennen.
    Um sich nach einem halbwegs komfortablen Hotel zu erkundigen, ging Julie zu einem der Tische.
    „Gleich hier", gab ihr ein junger Mann in gebrochenem Englisch zur Antwort und zeigte auf einen dunklen Hauseingang hinter ihm. „Die Treppe hoch."
    Entgeistert blickte Julie in die Richtung, die der Mann ihr gewiesen hatte. Sie mochte nicht glauben, dass es sich bei dem schäbigen Etablissement tatsächlich um ein Hotel handeln sollte, geschweige denn um eines, das ihren Ansprüchen auch nur halbwegs genügte.
    „Und es gibt wirklich kein besseres?" fragte sie nach. Unterdessen hatte sie die Blicke sämtlicher Gäste auf sich gezogen. Das Leben hier schien so langweilig und eintönig zu sein, dass schon die Ankunft einer Fremden außerhalb der Saison eine kleine Sensation und willkommene Abwechslung bedeutete.
    „Nicht um diese Jahreszeit", erwiderte der junge Mann.
    Julies Stimmung war auf dem Nullpunkt angelangt. In einer solchen Absteige hatte sie noch nie übernachten müssen. Trotzdem gelang es ihr, sich zu bedanken, bevor sie sich einen Ruck gab und die schmale, steile Treppe hinaufging.
    Im Haus roch es moderig, außerdem herrschte eine fast beängstigende Stille. Sollten sämtliche Gäste etwa schon schlafen?
    Unvermittelt tauchte vor ihr ein kleiner, gedrungener Mann auf, der sie von oben bis unten musterte.
    „Haben Sie ein Zimmer frei?" fragte Julie höflich.
    Jetzt erst schien der Mann zu bemerken, dass Julie einen Koffer in Händen hielt. „Sind Sie allein?"
    „Ja", antwortete sie.
    Daraufhin führte sie der Mann in ein spärlich beleuchtetes Zimmer. Julie blieb auf der Schwelle stehen und besah es sich skeptisch. In einer Ecke stand ein Doppelbett, gegenüber eine Wasserschüssel. An einer Wand lehnte ein Kleiderschrank, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte, und die Vorhänge vor den Fenstern waren so fadenscheinig, dass man mühelos hindurchsehen konnte.
    In Gedanken an ihr Schlafzimmer in Belcliffe House mit den seidenen Tapeten, den schweren Teppichen und antiken Möbeln wurde Julie ein wenig mulmig. „Haben Sie kein besseres Zimmer?" fragte sie und versuchte zu lächeln.
    „Leider nein, Madam", erwiderte ihr Gegenüber entschuldigend. „Zu dieser Jahreszeit sind wir nicht auf Gäste eingestellt."
    Weil der Besitzer der armseligen Unterkunft die unerwartete Einnahme allem Anschein nach gut gebrauchen konnte und sich, wie Julie zu ihrer Beruhigung feststellte, die Tür von innen abschließen ließ, willigte sie schließlich ein. „Ich nehme das Zimmer."
    Unschlüssig blieb der Mann stehen. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen. „Wollen Sie bei uns Urlaub machen?" traute er sich schließlich zu fragen.
    „Ich habe hier etwas zu erledigen", antwortete Julie, um sogleich das Thema zu wechseln. „Kann ich gegen neun Uhr Frühstück bekommen?"
    „Selbstverständlich, Madam." Immer noch machte er keine Anstalten zu gehen. Ihm war anzusehen, wie gern er den Grund für Julies Aufenthalt auf Kalymnos in Erfahrung gebracht hätte, um mit seinem Wissen vor seinen Freunden anzugeben. „Soll ich Ihnen für morgen früh ein Taxi bestellen?"
    „Wenn das möglich ist, gern."
    „Selbstverständlich. Wo wollen Sie denn hin?" Als er Julies verwunderten Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er schnell hinzu: „Ich muss dem Fahrer ja verraten, wo er Sie hinbringen soll."
    „Das werde ich ihm selbst sagen."
    Ihr Gastgeber nahm Julies Weigerung, seine Neugier zu befriedigen, nicht übel.
    Vielmehr schien er sogar Gefallen an ihrer Sturheit zu finden, denn bevor er sich verabschiedete, warf er ihr ein anerkennendes Lächeln zu. Vielleicht gab er sich auch nur mit der Gewissheit zufrieden, dass sich der Grund ihres Kommens über kurz oder lang sowieso herumsprechen
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