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Kalle Blomquist

Kalle Blomquist

Titel: Kalle Blomquist
Autoren: Astrid Lindgren
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frühe Morgensonne über einer Anlegestelle, ein Wasserflugzeug, das auf den Wellen schaukelt, eine kleine Bachstelze, die zwischen dem Heidekraut einhertrippelt, Ameisen, die über einen Stein kriechen – und man liegt auf dem Bauch und wartet? Soll das wirklich bis in alle Ewigkeit so bleiben?
    Anders hat gute Ohren, er hört es zuerst.
    »Ich höre etwas«, sagt er. »Würde mich sehr wundern, wenn das kein Motorboot ist.«
    Die anderen lauschen. Tatsächlich – ein ganz schwaches Geknatter ertönt irgendwo draußen auf dem Wasser. In diesen verlassenen Schären, die von Gott und den Menschen vergessen scheinen, ist das schwache Knattern der erste Laut, der von der Außenwelt zu ihnen dringt. In den fünf Tagen, die sie nun auf der Insel sind, haben sie keinen fremden Menschen, kein Motorboot, nicht einmal einen Kahn mit einem Fischer gesehen.
    Jetzt ist dort irgendwo ein Motorboot, das fährt. Kommt es hierher? Wer weiß?
    Hier sind so viele Buchten, es gibt tausend Möglichkeiten, daß das Boot woanders hin will. Aber
wenn es
kommt – kann man dann nicht auf den Steg laufen und mit aller Kraft seiner Lungen schreien: »Kommt her, kommt her, bevor es zu spät ist!« Wenn es aber nun eine kleine Urlaubsgesellschaft ist, die mit dem Boot vorbeifährt, die winkt und lacht und weiterfährt und gar nicht daran denkt, näher zu kommen und zu fragen, was los ist?
    Die Ungewißheit und Spannung wird jeden Augenblick schwerer zu ertragen. Sie lauschen angestrengt auf das Geknatter drau-
    ßen auf dem Wasser. Und es kommt näher. Bald können sie das Boot weit, weit draußen sehen. Das Boot? Es sind doch wohl zwei!
    Aber aus dem Wald kommt auch etwas. Es ist Peters. Dicht hinter ihm Blom und Svanberg. Sie rennen zur Anlegestelle, als gälte es das Leben. Vielleicht haben sie auch die Motorboote gehört und haben jetzt Angst. Nicke und Rasmus sind nicht zu sehen. Bedeutet das – nein, sie wagen nicht, daran zu denken, was es bedeuten könnte! Ihre Augen verfolgen Peters. Er ist in das Ruderboot gesprungen und rudert auf das Flugzeug zu.
    Dann klettert er in die Kabine hinauf und wendet sich zu Blom und Svanberg, die verlassen am Steg stehen – für sie ist in der kleinen Kabine wohl kein Platz mehr. »Versteckt euch im Wald! Ihr werdet abends abgeholt!«
    Der Propeller dreht sich. Das Flugzeug fängt an auf dem Wasser zu gleiten, dann beginnt es zu kreiseln, und Kalle beißt sich vor Aufregung auf die Lippen. Jetzt wird es sich zeigen, ob seine Sabotage geglückt ist. Das Flugzeug zieht Kreise auf dem Wasser.
    Immer nur Kreise. Aber es erhebt sich nicht. Schwer neigt es sich auf die linke Seite, neigt sich tiefer und tiefer und kippt um.
    »Hurra!« schreit Kalle, alles andere vergessend. Aber dann denkt er an den Professor, der sich ja auch in dem Flugzeug befindet, und als er sieht, wie es sinkt, wird er unruhig. »Kommt!«
    schreit er den anderen zu. Und sie stürzen aus dem Gebüsch, eine wilde kleine Heerschar, die lange im Hinterhalt gelegen hat.
    Das Flugzeug ist draußen im Sund gesunken. Es ist nicht mehr zu sehen. Einige Menschen schwimmen im Wasser. Aufgeregt zählt Kalle. Ja, es sind drei.
    Und ganz plötzlich sind die Motorboote da. Die Motorboote, die sie beinahe vergessen hatten. Und, guter Moses, wer ist es, der dort vorn im ersten steht?
    »Onkel Björk! Onkel Björk! Onkel Björk!« Sie schreien, daß ihnen fast die Stimmbänder platzen.

    »Oh, es ist Onkel Björk«, schluchzt Eva-Lotte, »oh, wie gut, daß er hier ist!«
    »Und die vielen Polizisten, die er bei sich hat!« schreit Kalle begeistert und erleichtert zugleich.
    Draußen im Sund herrscht ein einziges Durcheinander. Sie sehen nur ein Gewimmel von Uniformen und Rettungsringen, die ausgeworfen werden, und Menschen, die aus dem Wasser gezogen werden. Zumindest sehen sie zwei, die herausgefischt werden. Aber wo ist der dritte?
    Der dritte schwimmt auf das Ufer zu. Es scheint, als habe er keine Hilfe nötig. Er will sich selbst retten. Ein Motorboot nimmt Kurs auf ihn. Aber der Mann hat schon einen zu großen Vorsprung. Er erreicht den Anlegesteg. Klettert daran hoch und kommt mit langen, weiten Sätzen genau auf die Stelle zu, wo Anders, Kalle und Eva-Lotte sind. Sie haben sich wieder hinter den Büschen versteckt, denn der Näherkommende sieht an-griffslustig aus, und sie haben Angst vor ihm.
    Nun ist er schon dicht bei ihnen, und sie können seine Augen sehen, die voller Raserei, Angst und Haß sind. Aber er sieht nichts. Er sieht die
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