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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Autoren: Andrew Blum
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Mathematik in Form von elektrischen Signalen oder Lichtimpulsen – folgt einem ganz bestimmten physischen Pfad. Der Sinn jeder einzelnen Traceroute-Anfrage besteht darin, die genaue Route zwischen zwei Punkten zu ermitteln und zu protokollieren. Theoretisch könnte man die einzelnen Anfragen auf mehrere Computer verteilen, aber an der Geschwindigkeit selbst kann man nichts ändern, ebenso wenig wie man Licht zur Eile antreiben kann. Die Pakete brauchen eben so lange, wie sie brauchen. Das Protokoll jeder einzelnen Reise gleicht einer Serie von winzigen Postkarten von überall auf der Welt. Am Ende legt TeleGeography die Ergebnisse dieser Zehntausende von Anfragen übereinander, wie Streifen aus Pappmaché, bis sich bestimmte Muster abzeichnen.
    Dann werden die Routen von Bonnie Crouch und ihren Kollegen händisch analysiert. »Interessieren Sie sich für irgendein bestimmtes Land?«, fragte sie, mit einer geographischen Flexibilität, die ich an Internetleuten immer mehr zu schätzen lernte. Ich sagte, sie solle einfach das aussuchen, das sie am besten kennt, und sie entschied sich für Japan – und ging damit der Komplexität der chinesischen Netzwerke aus dem Weg. Auf ihrem Bildschirm tauchte eine lange Liste aus durcheinandergewürfelten Buchstaben und Ziffern auf, wie ein Telefonbuch ohne Namen. Jeder Absatz stand für die Ergebnisse zu einer bestimmten Route – zum Beispiel zwischen den Färöer-Inseln und Hokkaido. Jede einzelne Linie symbolisierte einen einzelnen Router, eine einsame Maschine in einem kalten Raum, die gewissenhaft Datenpakete weiterleitete. In Lauf der Zeit waren Bonnie Crouch die Codes so vertraut geworden wie einem Taxifahrer die Straßen von London. »Man entwickelt ein Gespür dafür, wie Unternehmen ihre Router nennen«, sagte sie. »Dieses hier geht von SYD nach HKG – die Flughafencodes von Sydney und Hongkong. Und der Netzbetreiber hat uns schon gesagt, dass es diese Route nimmt, darum müssen wir uns also nicht weiter kümmern.« Sie las diese Listen, um zu überprüfen, ob die Netzbetreiber die von ihnen angegeben Routen auch tatsächlich betreiben, und um zu einer subjektiven Einschätzung des Traffics auf diesen Routen zu kommen. »Unsere Nachforschungen versorgen uns mit allen Teilen des Puzzles: mit der Bandbreite, der Internetkapazität, teilweise auch mit Preisinformationen. Was noch fehlt, können wir uns mit vertretbarer Genauigkeit dazudenken.«
    Bonnie Crouch, kam es mir in den Sinn, war eine von wenigen Menschen auf der Welt, die mit der Geographie des Internets so gut vertraut sind wie die meisten Leute mit ihrer Heimatstadt. Ihr Chef, der Texaner Alan Mauldin, der TeleGeography ausgerechnet von seinem Haus in Bratislava aus leitete, verfügte über eine der besten geistigen Landkarten der physischen Infrastruktur des Internets. Ich hatte vor meinem Besuch hier mit ihm geskypt. »Ich brauche keine Karte«, erzählte er mir. »Ich habe alles im Kopf und könnte mehr oder weniger aufzeichnen, welche Kabel wo auf der Welt miteinander verbunden sind.« Er habe in seinem Arbeitszimmer in der Slowakei keine Karten des Internets hängen, sondern alte Landkarten von Texas. »Ich schätze, es ist so ähnlich wie in Matrix , wenn man den Code sieht. Ich muss da gar nicht mehr drüber nachdenken, ich sehe einfach, wohin etwas unterwegs ist. Ich weiß, in welcher Stadt der Router steht und wohin das Paket unterwegs ist. Es ist ganz komisch, aber wenn man weiß, wonach man sucht, ist es gar nicht schwer, auf einen Blick alles zu erfassen.«
    Was ich so verblüffend finde – und was so oft übersehen wird –, ist, dass jeder einzelne Router etwas ganz Greifbares ist. Jeder Router ist ein eindeutiger Wegpunkt, ein physischer Kasten, ein realer Ort, den ein Datenpaket auf seiner Reise über diesen realen Planeten passiert. Das Internet wird von zwei Milliarden Menschen in aller Herren Länder genutzt, Flugzeuge sind mit W- LAN ausgestattet, und Astronauten surfen vom Weltraum aus im World Wide Web. Im Grunde scheint die Frage »Wo ist das Internet?« völlig sinnlos, denn: Wo ist es nicht ? Doch als ich Bonnie Crouch über die Schulter blickte und ihr dabei zusah, wie sie Codes ganz bestimmten Maschinen in einer Stadt auf der anderen Seite der Erdkugel zuordnete, da erschien mir das Internet alles andere als unendlich. Eher glich es einer der Erde umgelegten Halskette. Mit welchem Muster? Sah es aus wie die Streckenpläne, die man hinten in den Magazinen von Fluggesellschaften
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