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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman
Autoren: Andreas Franz
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kurz nach der Geburt von Tomlin hat der Vater die Familie Knall auf Fall sitzen gelassen. Sie lebten in einer Kleinstadt in Wisconsin, und da Tomlins Mutter, die gerade achtzehn geworden war, auch die englische Sprache nur mäßig beherrschte, fand sie natürlich keine Arbeit. Eine Weile lebten die beiden von der Wohlfahrt, bis Tomlins Mutter sich einer einfachen, aber höchst einträglichen Möglichkeit bediente, zu Geld zu kommen, sie verdingte sich als Hure, heutzutage würde man sie als Callgirl bezeichnen. Ihr Ruf breitete sich in einem kleinen Städtchen wie Edgewater mit seinen gerade einmal knapp viertausend Einwohnern wie ein Lauffeuer aus. Sie war schon nach kurzer Zeit eine stadtbekannte Hure, die mit jedem schlief, der das Geld dafür hatte. Aber das ist nicht alles, was wir über sie in Erfahrung bringen konnten. Wir haben aus den 33 Videobändern einen Zusammenschnitt angefertigt, dem Sie alles Wesentliche entnehmen können. Hier nun unsere Fragen, und die von Tomlin gegebenen Antworten. Es ist das Protokoll eines Mannes, der in der entscheidenden Phase seines Lebens nichts als Demütigung und Lieblosigkeit erfuhr und vor allem niemanden hatte, dem er sich anvertrauen konnte. Er war über Jahre hinweg mit einem Problem und einer Last allein, die ihn erdrückten. Aber sehen und hören Sie selbst, beachten Sie bitte auch Tomlins Reaktionen, seine Blicke, seine Gesten, Veränderungen in der Haltung bei be stimmten Fragen, seinen Gesichtsausdruck. Und vor allem, beachten Sie seine Sprache, die Wahl seiner Worte. Nur noch ganz, ganz selten ist er jetzt noch der höfliche, auf die Wahl seiner Worte bedachte Arzt, meist bedient er sich einer sehr knappen, einfachen Sprache, oftmals redet er sehr vulgär, nach unserem Dafürhalten eine Sprache, die er in seiner Kindheit oft gehört und in seinem Unterbewußtsein gespeichert hat. Oft spricht er eher wie ein Kind oder ein etwas zurückgebliebener Erwachsener, dann aber wieder in bestimmten Momenten erstaunlich klar und geschliffen, ein Phänomen, das weder ich noch meine Kollegen in dieser extremen Form jemals erlebt haben.« Die Jalousie wurde heruntergelassen, der Videorecorder angestellt.
Dr. Tomlin, wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter?
Ich möchte nicht über meine Mutter sprechen. Lieben Sie Ihre Mutter?
Sie ist meine Mutter, nicht mehr und nicht weniger. Sie haben meine Frage nicht beantwortet lieben Sie sie?
Ich, ich, glaube schon. Sie sind sich nicht sicher? Warum glauben Sie es nur? Wissen Sie es nicht?
Mein Gott, was soll diese blöde Fragerei? Ich weiß es nicht! Verdammt noch mal, ich weiß es nicht!!! Hassen Sie Ihre Mutter?
Ich glaube nicht. Auch das wissen Sie nicht?
Nein.
Wie alt war Ihre Mutter, als Sie geboren wurden?
Achtzehn. Und Ihr Vater? Ich habe keinen Vater. Sie haben keinen Vater? Jeder Mensch hat einen Vater. Er ist abgehauen. Wann ist er abgehauen?
Weiß nicht. Kurz nach meiner Geburt wohl. Dann hat Ihre Mutter Sie allein großgezogen? Sie hat es wohl oder übel müssen. Was hat Ihre Mutter gemacht, um für den Lebensunterhalt von Ihnen beiden aufzukommen? In Amerika gibt es ja nicht ein solch komplexes soziales Netz wie bei uns. Dort ist doch jeder auf sich selbst angewiesen.
Sie hat wohl gearbeitet. Und wo? Konnte sie gut Englisch sprechen?
Sie hat es wohl gelernt. Ich weiß nicht, wo sie gearbeitet hat. Irgendwo.
Wenn sie gearbeitet hat, wo hat sie Sie dann gelassen? Zur Arbeit mitnehmen konnte sie Sie ja wohl schlecht? Hatte sie Sie zu Großeltern gebracht?
Ich habe keine Großeltern. Keine Großeltern? Wo leben denn die Eltern Ihres Vaters? Keine Ahnung, irgendwo. Wie lebten Sie? Ich meine, hatten Sie ein Haus, eine Wohnung, oder lebten Sie in einem Wohnwagen, was ja in den Staaten nicht unüblich ist?
Eine Wohnung. Groß, klein?
Drei Zimmer, ein kleiner Garten. Ich hatte eine Katze. Eine wunderschöne, kleine Katze. Sie war vierfarbig und wollte immer nur von mir gestreichelt werden. Von Mom wollte sie nichts wissen. Immer nur von mir.
Sie haben sehr an dieser Katze gehangen?
Bitte? Katze? Na ja, sie war nur eine Katze.
Aber eben haben Sie doch ganz liebevoll von ihr gesprochen? Vergessen Sie's! Und Ihre Mutter, hat sie die Katze auch geliebt?
Mom haßt Katzen. Sie haßt alle Tiere. Nun aber zurück zu meiner Frage - wo hat Ihre Mutter Sie gelassen, wenn sie arbeiten ging?
Ich weiß nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Dr. Tomlin, wie weit in Ihre Kindheit können Sie sich zurückerinnern? Ich meine, ich kann mich schon an
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