Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis
Autoren: Juliet Hall
Vom Netzwerk:
Galerien. Aber   … Es hatte sich herausgestellt, dass auch Women in Health seine Grenzen hatte und Ruby im Grunde ihres Herzens keine Großstadtpflanze war. Sie hatte dieses Leben geführt und es genossen. Aber das war nicht das wahre Leben. Das wahre Leben fand zu Hause statt. Auch wenn ihre Eltern nicht mehr da waren, war Pridehaven tief in ihrem Herzen immer noch ihr Zuhause, und dort wollte sie sein   – jedenfalls einstweilen.
    Mel riss die Augen auf. »Und James?«
    Ruby zeichnete mit der Fingerspitze ein Muster auf die Tischplatte.
    »Aha«, sagte Mel.
    »Genau.« Ruby seufzte.
    »Ihr habt euch aber nicht getrennt?«
    »Nein.« Jedenfalls noch nicht, dachte sie. Ich ruf dich an , war das Letzte gewesen, was er zu ihr gesagt hatte, als sie heute Morgen zum Bahnhof gefahren war. Aber wenn er das tat   – was würde sie sagen? Er hatte nichts dagegen gehabt, dass sie hierher gefahren war. Aber war auch davon ausgegangen, dass sie nur ein, zwei Wochen fortbleiben würde   – und nicht für immer.
    »Was dann?«, erkundigte sich Mel.
    Gute Frage. »Man könnte vielleicht sagen, dass wir eine kleine Pause einlegen.«
    Mel kannte sie so lange   – mehr brauchte sie nicht zu sagen. Aber Ruby würde nicht in diesem Haus wohnen, ob sie nun eine oder zwei Wochen blieb oder für immer. Es war viel zu groß für sie und von viel zu vielen Erinnerungen erfüllt. Hier würden sie die Geister ihrer Eltern auf Schritt und Tritt verfolgen.
    Nach dem Mittagessen nahm Ruby das Schlafzimmer ihrer Eltern in Angriff. Sie hatte bereits alle Kleidungsstücke aus dem Schrank genommen und sie auf Stapel geworfen, als sie ganz hinten im Kleiderschrank, unter einem Sammelsurium von Handtaschen, einen Schuhkarton entdeckte. Er war mit einem dicken Gummiband verschlossen, und auf dem Deckel stand etwas geschrieben   – vielleicht in Spanisch. Aber ansonsten sah der Karton ganz normal aus.
    Ruby setzte sich auf den Boden. Sie hörte, wie Mel unten staubsaugte. Die Frau war ein Engel. Denn das hier fiel ihr so schwer, viel schwerer, als sie es sich je vorgestellt hatte.
    Wenn dir so etwas passiert   – wenn es früh am Morgen an deiner Tür klingelt, wenn du öffnest und zwei Polizisten vor dir stehen, die dir gleich sagen werden, dass deine Eltern tot sind   –, dann fühlt sich das ganz anders an, als du es dir jemals vorstellen kannst. Dumme und unbedeutende Dinge waren ihr aufgefallen, zum Beispiel, dass die Beamtin eine gepolsterte Weste trug und dunkle Ringe unter den Augen hatte. Und dass es der 21. März war, Frühlingsanfang.
    »Es gibt immer einen toten Winkel«, hatte der Beamte Ruby erklärt. »Deswegen sind Motorräder so gefährlich.« Er hatte sie entschuldigend angesehen. »Es ist nicht so, dass Motorradfahrer generell unvorsichtig sind. Meist liegt es an den Autofahrern.«
    Es gibt immer einen toten Winkel   …
    »Sie haben nicht gelitten«, setzte seine Kollegin hinzu.
    Ruby hatte sie angesehen. Wusste sie das genau? Ganz sicher?
    Die Worte der Frau hatten ein Bild in ihr aufsteigen lassen   – quietschende, qualmende Reifen, der Gestank von verbranntem Gummi. Ihre Arme, die seine Mitte umschlingen. Das Krachen von Metall auf Metall. Körper, die kopfüber durch die Luft geschleudert werden. Nicht irgendwelche Körper, sondern die ihrer Eltern. Und dann Stille. Gütiger Gott! Und sie sollten nicht gelitten haben?
    Ruby schüttelte die Erinnerung ab. Man sagte, die Zeit heile alle Wunden. Aber wie lange dauerte das? Heilten ihre Wunden schon? An manchen Tagen war sie sich nicht sicher. Sie streckte die Hände aus. Wenigstens zitterten ihre Hände nicht mehr, und sie hatte auch aufgehört, gegen Türen zu laufen.
    Vorsichtig löste sie das Gummiband von der Schachtel. Sie war nicht schwer genug, als dass Stiefel oder auch nur Schuhe darin sein konnten. Vorsichtig schüttelte sie den Karton. Es raschelte.
    Hätte er nur das Motorrad nicht gekauft. Wie oft hatte sie das schon gedacht, seit es passiert war? Sie hatte ihn schließlich gewarnt, oder? Hatte sie ihm nicht die Meinung gesagt, weil er versuchte, seine versäumte Jugend nachzuholen? Er hatte kurz vor der Rente gestanden, da hätte er lieber übersBowling- oder Kartenspielen nachdenken sollen, statt darüber, mit einem Motorrad durch die Landschaft zu rasen.
    Ruby stieß den Atem aus. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie die Luft angehalten hatte. Sie war über das Wochenende hier gewesen. James hatte an diesem kühlen Wochenende Anfang März wieder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher