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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann
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»Garten im Osten«? Der Ort der Ruhe und des Glückes, die Heimat des Menschen, wo er vom schlimmen Baume gekostet und von wo er vertrieben worden war oder eigentlich sich selbst vertrieben und sich zerstreut hatte? Der junge Joseph wußte es so gut, wie er von der Flut wußte, und aus denselben Quellen. Er mußte etwas lächeln, wenn er syrische Wüstenbewohner dafürhalten hörte, die große Oase Damaskus sei das Paradies – denn Himmlischeres könne man nicht erträumen, als wie sie gebettet sei zwischen königlichem Gebirg und Wiesenseen in Obstwald und lieblich bewässerte Gärten, wimmelnd von allerlei Volk und voll üppigen Austausches. Auch zuckte er aus Höflichkeit zwar nicht mit den Achseln, tat es aber innerlich, wenn Männer von Mizraim erklärten, die Stätte des Gartens sei selbstverständlich Ägypten gewesen, denn dieses sei Mitte und Nabel der Welt. Das meinten die bartlockigen Männer von Sinear wohl auch, daß ihre Königsstadt, die sie »Pforte Gottes« und »Band Himmels und der Erde« nannten (der Knabe Joseph sprach es ihnen in ihrer weltläufigen Mundart nach: »Bab-ilu, markas šamê u irsitim«, sagte er gewandt) – daß also Babel der Welt heiliger Mittelpunkt sei. Aber Joseph hatte über diese Frage des Weltnabels nähere und wahrere Nachrichten, und zwar aus der Lebensgeschichte seines guten, sinnenden und feierlichen Vaters, welcher, ein junger Mann noch, auf der Reise von »Siebenbrunnen«, der Seinen Wohnsitz, gen Naharajim zum Oheim nach Charran ganz unverhofft und unwissend auf die wirkliche Pforte des Himmels, den wahren Weltnabel gestoßen war: auf die Hügelstätte Luz mit ihrem heiligen Steinkreise, die er dann Beth-el, Haus Gottes, geheißen hatte, weil ihm hier, dem vor Esau Flüchtigen, die schauerlich größte Offenbarung seines Lebens zuteil geworden. Hier oben, wo Jaakob das steinerne Kopfkissen aufgerichtet hatte als ein Mal und es mit Öl begossen, hier war fortan für Die um Joseph die Mitte der Welt und dieser Ort das Mutterband Himmels und der Erde; aber das Paradies hatte auch hier nicht gelegen, sondern in Gegenden des Anfangs und der Heimat, irgendwo dort, nach Josephs kindlicher Überzeugung, die übrigens eine viel angenommene Überzeugung war, von wo der Mann der Mondstadt einst ausgezogen, im unteren Sinear, dort, wo der Strom sich auflöste und das feuchte Land zwischen seinen Armen noch heute von Süßkost tragenden Bäumen strotzte.
    Daß hier, im südlichen Babylonien irgendwo, Eden zu suchen und Adams Leib aus babylonischer Erde gemacht worden sei, ist lange die bevorzugte Lehre der theologischen Wissenschaft geblieben. Dennoch handelt es sich noch einmal um die uns schon vertraute Kulissenwirkung, um jenes System von Vorlagerungen, örtlichen Ansiedelungen und Zurückverweisungen, das wir mehrfach zu studieren Gelegenheit hatten, – nur daß es sich hier auf eine überbesondere, im wörtlichsten Sinn verlockende, über das Irdische hinaus lockende und hinüberschreitende Art darum handelt; nur daß der Brunnenschlund der Menschengeschichte hier seine ganze Tiefe erweist, die keine zu messende Tiefe ist, – eine Bodenlosigkeit vielmehr, auf welche endlich weder der Begriff der Tiefe noch derjenige der Finsternis mehr Anwendung findet, sondern im Gegenteil die Vorstellung der Höhe und des Lichtes: der lichten Höhe nämlich, aus welcher der Fall geschehen konnte, dessen Geschichte mit der Erinnerung unserer Seele an den Garten des Glückes untrennbar verbunden ist.
    Die überlieferte Ortsbeschreibung des Paradieses ist in einer Hinsicht genau. Es sei, heißt es, von Eden ausgegangen ein Strom, zu tränken den Garten, und habe sich von da in vier Weltwasser geteilt: den Pison, Gihon, Euphrat und Hiddekel. Der Pison, so fügt die Auslegung hinzu, sei auch Ganges genannt; er fließe um das ganze Inderland und bringe mit sich das Gold. Der Gihon, das sei der Nilus, der größte Strom der Welt, der fließe um das Mohrenland. Doch Hiddekel, der pfeilschnelle Strom, sei der Tigris, der vor Assyrien fließt. Dies letztere ist unbestritten. Bestritten aber, und von ansehnlicher Seite, ist die Einerleiheit des Pison und Gihon mit Ganges und Nil. Gemeint seien vielmehr der Araxes, der ins Kaspische Meer, und der Halys, der in das Schwarze geht, wie denn die Stätte des Paradieses in Wahrheit zwar im babylonischen Gesichtskreise, aber nicht in Babylonien, sondern in dem armenischen Alpenlande nördlich der Mesopotamischen Ebene zu denken sei, wo jene Ströme nahe
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