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Josef und Li: Roman (German Edition)

Josef und Li: Roman (German Edition)

Titel: Josef und Li: Roman (German Edition)
Autoren: Anna Vovsova
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weiter laufen, und diese Schmach vergessen, diese schmachvolle Schmach. Im Geist schwor er sich, dass er Helena nie wieder ansprechen und sie bis über den Tod hinaus nicht einmal aus dem Augenwinkel anschauen würde. Aber als ihm Helena einen Augenblick später zurief: »Josef!«, da vergaß er alle seine Vorhaben sofort, drehte sich zu ihr um und sagte mit großer Erwartung in der Stimme: »Was?«
    Helena lächelte ihn so lieb an, dass sich Máchal und Hnízdil augenblicklich abgeschrieben vorkamen. Und als sich Helena sicher war, dass sie Josef wieder vollkommen in ihrer Hand hatte, sagte sie zur großen Freude der Jungs: »Nichts.«
    Helena verteilte ihre Gunst unter den Jungs so leichtfüßig, dass Máchal, Hnízdil, Josef und vielleicht auch Šíša dachten, dass gerade er der Auserwählte sei. Doch nichts währt ewig, auch wenn die Sache mit Helena fast eine Ewigkeit währte – von September bis Oktober!
    Einmal sah Josef zufällig sein Spiegelbild im Schaufenster, als er wieder mit den Jungs unterwegs war. Und plötzlich sah er vier Blödmänner.
    »Wir laufen ihr hinterher wie ein paar Hornochsen«, sagte Josef und eigentlich wollte er damit sagen, dass nur er hinter Helena herlaufen sollte und nicht alle auf einmal. Doch
Máchal giftete zurück: »Dann lauf ihr halt nicht hinterher, du Hornochse!«
    »Ich kann hinterherlaufen, wem ich will«, gab Josef wiederum zurück und es sah schon nach einem saftigen Kampf aus. Šíša, der von allen am allerwenigsten Kämpfe mochte – er war von allen der Schwächste und der Kleinste –, stotterte entsetzt: »Wa… wa… wartet doch, Jungs … ich … ich … hab’ … eine Idee!« Und dann, als sich ihm die Jungs zuwandten und warteten, was er ausspucken würde, zeigte sich, dass er gar keine Idee hatte. Aber da war die erste Wutwelle schon vorbei. Sie fingen keinen Kampf an und nach einer Weile eiskalten Schweigens sagte Máchal: »Okay, wem von uns Helena als Erstem einen Kuss gibt, der darf mit Helena gehen, und die anderen werden ihm nicht im Weg stehen.«
    »Wem Helena freiwillig einen Kuss gibt«, ergänzte Hnízdil mit Betonung auf dem Wort ›freiwillig‹ und sah Máchal vielsagend an: Denn er war der größte von allen Jungs und manchmal hatte er den Hang, die Dinge mit Hilfe seiner Muskeln zu lösen.
    »Und mit Schmackes!«, fügte Josef dazu, weil er sich erinnerte, wie er einige Male Vendula als Zeichen der Versöhnung küssen musste, was ihn große Überwindung gekostet hatte, und wie sie sich danach geschüttelt und ihr Gesicht rasch mit dem Ärmel abwischte, als ob Josefs Spucke eine ätzende Flüssigkeit wäre.
    Šíša sagte gar nichts. Ihm kam es gar nicht so peinlich vor, dass sie Helena wie eine Horde Ochsen hinterherliefen. Er könnte ihr seelenruhig weiter hinterherlaufen. Aber ihm war fast gar nichts peinlich und in Wirklichkeit hieß er auch nicht
Šíša, sondern Šimon Šamánek. Eigentlich machte er sich nicht viel aus Helena. Aber das würde er um nichts in der Welt vor den Jungs zugeben. Also machte er sich keine großen Sorgen wegen der Vereinbarung. Er rechnete nicht damit, dass sich dadurch besonders viel ändern würde. Selbst wenn Helena einem von ihnen einen Kuss geben würde, was er allerdings schwer bezweifelte, blieben immerhin noch drei übrig, die keinen Kuss bekommen würden, und die wären dann auch nicht besser dran als jetzt. Währenddessen aber überlegten Máchal, Hnízdil und Josef fieberhaft, wie sie der glückliche Auserwählte werden konnten.
    Als Josef nach Hause kam, machte er zunächst in der Werkstatt seiner Eltern halt, um auf sich aufmerksam zu machen und um etwas zu essen zu bekommen. Außer zwei Scheiben Brot Verpflegung für die Schule hatte er noch nichts gegessen und konnte deshalb keinen vernünftigen Gedanken fassen. Heute aber sah es nach keinem großen Gelage aus.
    Frau Kličková war nämlich gerade dabei, Herrn Klička den neuen Stoff vorzuführen, den sie dunkelblau gefärbt und mit grünen Blättern bemalt hatte. Sie breitete ihn soeben über dem Sessel aus, der von Herrn Klička aus Buchenholz angefertigt worden war.
    In solchen Augenblicken verhielten sich Josefs Eltern nicht gerade wie Eltern, sondern wie zwei Verrückte. Frau Kličková vergaß zu kochen und Herr Klička vergaß seinen Hunger.
    Als Frau Kličková Herrn Klička die Augenbinde abnahm und Herr Klička endlich die neue Schöpfung von Frau Kličková begutachten konnte, blieb er vollkommen regungslos
stehen. Er starrte den
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