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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis
Autoren: Jesu’s Sohn
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Die schöne fremde Frau. Und der zerfetzte Mond: geheilt. Und unsere Tränen: weggetupft von unseren Fingern. Es war da.

HAPPY HOUR
     
     
    Ich war hinter einer siebzehnjährigen Bauchtänzerin her, die ständig in Begleitung eines Bürschleins war, das vorgab, ihr Bruder zu sein, es aber gar nicht war, sondern einfach jemand, der sich in sie verliebt hatte, und sie duldete sein Geschmachte, weil das Leben so was eben mit sich bringt.
    Auch ich war in sie verliebt Sie allerdings war noch immer in einen Mann verliebt, der seit kurzem im Gefängnis saß.
    Ich suchte in den übelsten Absteigen, der Vietnam-Bar und so.
    Der Barkeeper sagte: «Möchtest du was trinken?»
    «Der hat doch kein Geld.»
    Ich hatte welches, aber nicht genug, um zwei volle Stunden saufen zu können.
    Ich probierte es im Jimjam-CIub. Indianer aus Klamath oder Kootenai oder von noch weiter nördlich – aus British Columbia, aus Saskatchewan – saßen an der Bar aufgereiht wie kleine Statuen oder feiste kleine Püppchen, Sachen, die von Kinderhand malträtiert worden sind. Sie war nicht da.
    Einer von den Indianern, ein schlitzäugiger, schwarzäugiger Nez-Percé, hätte mich fast vom Hocker gesto- ßen, als er sich, weit vorgebeugt, ein Glas billigsten Portwein bestellte. Ich sagte: «He, haben wir beide hier nicht gestern ‘ne Partie Pool gespielt?»
    «Nicht daß ich wüßte.»
    «Und hast du nicht noch gesagt, ich solle schon mal das nächste Spiel aufbauen, damit du was wechseln gehen und mir deine Schulden bezahlen könntest?»
    «Ich war gestern gar nicht hier. War nicht mal in der Stadt.»
    «Und dann hast du mir den Vierteldollar nie zurückgezahlt. Du schuldest mir ‘nen Vierteldollar, Mann.»
    «Aber ich hab ihn dir gegeben, den Vierteldollar. Glatt auf die Hand. Zwei Zehner und ‘nen Fünfer.»
    «Irgendwer kriegt hier gleich reichlich Probleme.»
    «Ich nicht. Ich hab dir deinen Vierteldollar zurückgezahlt. Könnte höchstens sein, daß das Geld runtergefallen ist.»
    «Sag mal, merkst du eigentlich nie, wann’s reicht? Wann der Ofen aus ist, endgültig?»
    «Eddie, Eddie», sagte der Indianer zum Barkeeper, «hast du hier gestern auf dem Boden vielleicht ‘n paar Zehner und Fünfer gefunden? Hast du gefegt? Hast du hier zufällig irgendwas zusammengefegt, zum Beispiel zwei Zehner und ‘nen Fünfer?»
    «Kann schon sein. Ist meistens so. Warum?»
    «Siehst du?» sagte er zu mir.
    «Ihr macht mich so fertig», sagte ich, «ich krieg nicht mal mehr die Finger hoch. Ihr alle.»
    «Mensch, ich würd mich wegen ‘nem Vierteldollar doch nicht mit dir anlegen.»
    «Dir alle miteinander.»
    «Du willst also ‘nen Vierteldollar? Scheiß drauf. Hier.»
    «Scheiß auf dich. Geh zum Teufel», sagte ich und machte mich davon.
    «Nun nimm den Vierteldollar schon», sagte er sehr laut, jetzt, da er sah, daß ich das Geld nicht anrühren würde.
     
    Noch nachts zuvor hatte ich in ihrem Bett schlafen dürfen, nicht richtig mit ihr, aber neben ihr. Sie wohnte mit drei College-Mädchen zusammen, von denen zwei taiwanesische Freunde hatten. Ihr falscher Bruder schlief auf dem Fußboden. Als wir am Morgen aufwachten, sagte er kein Wort. Überhaupt redete er nie, und genau darin lag das Geheimnis seines Erfolgs, falls man von so etwas sprechen konnte. Ich gab einem der College-Mädchen und ihrem Freund, der kein Englisch konnte, vier Dollar, fast mein ganzes Geld; damit wollten sie etwas taiwanesisches Haschisch besorgen. Ich stand am Fenster, sah auf den zum Haus gehörenden Parkplatz hinab – der Bruder putzte sich derweil die Zähne – und beobachtete, wie sie mit meinem Geld in einer grünen Limousine abzogen. Noch bevor sie vom Parkplatz runter waren, fuhren sie gegen einen Telegraphenmast Sie stiegen aus und stolperten da- von, ließen die Wagentüren einfach offen, klammerten sich aneinander, und der Wind wehte ihnen das Haar ins Gesicht.
     
    Später am Vormittag – alles immer noch in Seattle – saß ich im Bus. Ich saß gleich vorn, auf der langen Sitzbank seitlich zum Gang. Gegenüber von mir hielt eine Frau ein dickes Buch über englische Literatur auf dem Schoß; neben ihr saß ein hellhäutiger Schwarzer. «Jaaaa», sagte sie zu ihm. «Heute ist Zahltag. Und da fühlt man sich gut, auch wenn’s bald wieder alle ist» Er blickte sie an, und seine hohe Stirn verlieh ihm den Ausdruck von Nachdenklichkeit «Na», sagte er, «mir bleiben noch ganze vierundzwanzig Stunden in dieser Stadt.»
    Draußen war es klar und windstill. In
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