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JörgIsring-UnterMörd

Titel: JörgIsring-UnterMörd
Autoren: Unbekannt
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dass die Stelle wärmer war als der Rest seines Körpers. Die
Wunde war aufgeplatzt, blutete wieder. Sollte ihn doch noch eine Kugel der
Söhne Odins aufhalten, mit einiger Verspätung zwar, aber kurz vorm Ziel?
    Krauss biss die Zähne zusammen. Er hatte sich gute dreihundert Meter von
dem Punkt entfernt, an dem er ins Wasser gegangen war. Etwa ein Drittel der
Strecke war geschafft, es lohnte also nicht, wieder umzudrehen. Jeder
Beinschlag erzeugte ein messerscharfes Echo in seinem Rumpf. Krauss blendete
den Schmerz aus. Er koordinierte seinen Atem mit seinen Armzügen. Nach einer
Weile spürte er seine linke Seite nicht mehr. Sie war taub. Krauss wurde
langsamer. Er drohte, die Kontrolle über sein linkes Bein zu verlieren. Das
durfte nicht passieren. Er entschied sich, nur noch das rechte Bein zu bewegen,
um handlungsfähig zu bleiben. Zwar würde er an Tempo einbüßen, aber das
Risiko, nicht mehr auf die Insel zu gelangen, war ihm zu hoch. Einbeinig
schwamm er weiter. Die Insel war nun deutlich größer, er musste sehr vorsichtig
sein. Wobei er darauf hoffte, dass die Aufmerksamkeit der Wachen zu dieser
frühen Stunde am geringsten war. In dieser Zeit, wenn das Licht zurückkehrte,
ließ die Anspannung der Nacht nach, gab man sich der Hoffnung hin, dass heute
alles gut werden würde. Krauss wusste es besser. Nichts wurde gut, niemals.
    Das Schwimmen war
eine Qual, aber es ging. Er schätzte die Entfernung bis zur Badeinsel auf
zweihundert Meter. Ein lautes Plantschen, einmal Wasser gehustet, und es war
vorbei. Ab jetzt glitt er durch den See. Er bewegte sein rechtes Bein nur noch
leicht, um sich an der Oberfläche zu halten, die Hauptarbeit leisteten die
Arme. Die Insel war wenige Meter entfernt. Niemand hatte ihn bemerkt, oder sie
waren professionell genug, es für sich zu behalten und ihn zu überraschen.
    Er erreichte sein Ziel, hielt sich an den Stricken fest, mit denen leere
Fässer unter die Planken gebunden waren. Die Insel schaukelte leicht. Krauss
rührte sich nicht. Jetzt spürte er die Erschöpfung in seinen Gliedern, die
verspannten Muskeln in seinem Nacken, seine pochende Wunde. Die Strecke ohne
Training zu schwimmen war Wahnsinn gewesen. Genausogut hätte er ertrinken
können. Aber er war es nicht. Stattdessen hing er in den Seilen. Krauss musste
grinsen. Der Spruch hätte von Oda stammen können. Doch er lag gar nicht so
falsch. Verzichtete Edgar heute auf seinen täglichen Sport, hätte er
tatsächlich ein Problem. Dann musste er den ganzen Tag hier zubringen und in
der Dunkelheit versuchen, das andere Ufer zu erreichen. Dass ihm das gelingen
würde, bezweifelte er.
    Die Sonne war
mittlerweile aufgegangen, schien auf den See. Krauss zog sich halb auf die
Fässer, verhakte einen Fuß in den
    Seilen. So war ein Teil seines Körpers aus dem Wasser und konnte in der
Sonne trocknen. Er durfte nicht auskühlen, das hätte ihn unbeweglich gemacht.
Krauss vermutete, dass es gegen 6.30 Uhr war. Wenn Edgar schwamm, würde dies
zwischen 7 und 8 Uhr sein. Vor dem Frühstück. Krauss klammerte sich fest und
wartete. Seine Situation entbehrte nicht einer gewissen Absurdität. Da hatte
ihn der englische Geheimdienst nach Deutschland geschickt, um Adolf Hitler zu
töten, stattdessen tappte er von einer Katastrophe in die andere und wartete am
Ende verletzt an einer Badeinsel hängend auf seinen Bruder, der vielleicht
Besseres zu tun hatte, als ihm in die Arme zu schwimmen. Doyle würde begeistert
sein. Aber Krauss hatte nicht vor, mit dem MI5-Mann noch einmal zu reden. Er
hatte nicht vor, mit irgendjemanden noch einmal zu reden -, außer mit seinem
Bruder. Dahlerus war eine andere Sache gewesen. Den Schweden hatte er mit in
eine Geschichte hineingezogen, die dieser unmöglich überblicken konnte. Krauss
hoffte von ganzem Herzen, dem Schweden einen nicht allzu großen Schock versetzt
zu haben. Er hatte es nicht verdient. Aber was hieß das schon? Hatte Hanna es
verdient, so jung ermordet zu werden? Hatte der Junge es verdient, seiner Eltern
beraubt zu werden? Hatte die neue Familie des Kindes es verdient, dass so viel
Elend über sie gebracht wurde? Hatte überhaupt ein menschliches Wesen einen
Vater wie Hitler verdient? Hier ging es nicht um Gerechtigkeit, das Leben
führte kein Konto mit Soll und Haben. Hier ging es nur um eine mörderische
Ideologie, deren Verfechtern man sich besser nicht in den Weg stellte.
Nationalsozialismus war das falsche Wort, dachte Krauss, Nationaldarwinismus
hätte es besser
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