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Joanna Bourne

Joanna Bourne

Titel: Joanna Bourne
Autoren: Die Geliebte des Meisterspions
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Haare, um zupacken zu können, sollte sie auf die Idee kommen, sich ohne ihn aus dem Staub zu machen.
    Damit begab sie sich ganz und gar in seine Macht – ein Mann, doppelt so groß und stark wie sie, und noch dazu ein Feind. Sie hätte wissen müssen, was sie mit ihrem Geschlängel und Gesäusel bei einem Mann anrichtete. Wut, Rache – und andere Gelüste wallten in ihm auf wie geschmolzenes Eisen. Kaum zu glauben, dass sie sich nicht durch seine Haut brannten und ihr weiches Haar in Brand setzten.
    »Ah, wir kommen voran«, hörte er ihre Stimme im Dunkeln. »Dieses Schloss ist doch nicht so kompliziert, wie es auf Anhieb wirkt. Allmählich kommen wir der Sache auf den Grund.«
    Sie rückte langsam näher und verdrehte die Fessel, wobei sie seinen Oberschenkel streifte. Mit jeder zufälligen Berührung wurden seine Lenden fester und pochten stärker. Alles, woran er jetzt noch denken konnte, war ihre sanfte Stimme, die sagte: Ich werde mich am ganzen Körper einölen und im Schein des Feuers tanzen. Er war nicht wie Henri. Er würde sie nicht anrühren. Doch wie sollte er dieses Bild nur wieder aus dem Kopf bekommen?
    »Und … schon erledigt.« Das Schloss war geknackt.
    Bei ihr sah es so einfach aus, obwohl es das keinesfalls war. Er rieb sich das Handgelenk. »Ich danke Euch.«
    Dann erhob er sich zu seiner vollen Größe und streckte die schmerzenden Glieder. Frei. Ungehemmte Freude erfüllte ihn. Er war frei. Er ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder. Er freute sich über die Rückkehr seiner Kräfte und hatte das Gefühl, als könnte er diese Steine mit bloßen Händen aus dem Wege räumen. Es war zwar stockdunkel, und sie befanden sich sechs Meter unter der Erde in einer Festung der französischen Geheimpolizei, doch die Tür stand offen, und er würde sie hier rausbringen – Adrian und diese bemerkenswerte Verräterin – oder umkommen, während er es versuchte. Sollte ihnen der Fluchtversuch misslingen, wäre es für sie alle sowieso besser, dabei das Zeitliche zu segnen.
    Während sich die Frau an Adrians Fessel zu schaffen machte, tastete er sich durch die Zelle bis zu Henri, der – wie sie gesagt hatte – noch atmete. Der Franzose war an Händen und Füßen mit seinen Strümpfen gefesselt und mit der eigenen Krawatte geknebelt. Eine gründliche Frau. Die Kontrolle der Fesseln war nur noch Formsache. Henris Jacke hatte tatsächlich eine Geheimtasche. Er nahm die Papiere an sich und zog Henri dann die Hosen bis zu den Knöcheln herunter. So, halb entblößt, ließ er ihn liegen.
    »Was treibt Ihr denn da?« Sie hatte gehört, dass er an Henri herumgezerrt hatte. »Ich bin irgendwie heute Abend äußerst wissbegierig.«
    »Ich sorge dafür, dass Henri Gesprächsstoff hat, wenn er Leblanc das nächste Mal trifft.« Es würde ihnen etwa zehn Minuten bringen, wenn Henri erklären musste, welche Absichten er in Bezug auf das Mädchen gehabt hatte. »Vielleicht wird es mir noch leidtun, dass ich ihn am Leben gelassen habe.«
    »Mit viel Glück werdet Ihr noch einmal die Gelegenheit haben, das nachzuholen.« Wieder erklang dieses abschließende, kurze, entscheidende Klicken. »Das Schloss von Eurem Adrian ist auch offen. Er kann aber nicht laufen.«
    »Ich werde ihn tragen. Habt Ihr schon einen Plan, wie wir dieses Château mit einem Bewusstlosen, ohne Waffen und der Geheimpolizei halb Frankreichs da oben verlassen sollen?«
    »Aber natürlich. Das werden wir jedoch nicht hier besprechen. Holt Euren Freund und lasst uns bitte gehen, falls Euch etwas an Eurem Leben liegt.«
    Er legte sich Adrians Arm über die Schulter und zog ihn hoch. Der Junge konnte zwar nicht allein stehen, jedoch mit Hilfe gehen. Er unterhielt sich in mehreren Sprachen mit unsichtbaren Leuten.
    »Stirb mir jetzt nicht, Hawker«, befahl er. »Wag es jetzt ja nicht zu sterben.«

2
    »Wie komme ausgerechnet ich dazu, Kindermädchen für ein paar Engländer zu spielen?« Die junge Frau fasste Adrian noch kräftiger unter. »Hier müssen wir nach links, Engländer, wenn Ihr immer noch so erpicht darauf seid, zu dieser Kirche zu gelangen.«
    »Ist es die nächstgelegene?«
    »Oh ja. Da wäre natürlich noch die Kirche von Saint-Cloud auf halbem Wege den Hügel hinab, die mehr hermacht – wäre es hell, könntet Ihr die Turmspitze sehen – , aber die Kapelle vom Waisenhaus liegt viel näher, wenn Euch nicht stört, dass sie nur noch eine Ruine ist. Ich nehme an, dieser Umstand ist Euch völlig egal. Sie wurde während der
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